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Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Titel: Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
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Rache, Mord und Totschlag nachzusinnen – sie hatte doch mich. Ich würde auf sie aufpassen, und wenn ihr dennoch etwas zuleide getan wurde, und sei es nur auf der Ebene, auf der der Wirt sie attackiert hatte, würde ich es nicht ungesühnt lassen. Es reichte völlig aus, wenn einer von uns zweien sein Gewissen opferte, und für sie würde ich meines gerne hergeben.
    »Warum ist nur Maria tot, und dieses dicke Schwein lebt?«, setzte sie leise nach, und ich glaubte fast so etwas wie Herausforderung in dem kurzen Blick, den sie mir über die Schulter hinweg zuwarf, zu erkennen. »Ich wünschte, er hätte sich mit dieser Knarre eine Kugel durch den Kopf gejagt!«
    Ich sah kurz zu Carl zurück – eigentlich nur, um mich zu vergewissern, dass er ihre Worte nicht verstanden hatte.
    Aber die halbe Sekunde, in der ich nur seine Konturen hinter dem grellen Strahl des Scheinwerfers in seiner Hand ausmachte, genügte, um festzustellen, dass Judiths Sprüche genauso gut von mir selbst hätten kommen können, weil auch ich tatsächlich einen erschreckenden Drang verspürte, dem aufgeschwemmten alten Hippie an den Hals zu springen und ihm kurzerhand das Genick zu brechen.
    Vor meinem inneren Auge konnte ich bereits sehen, wie ich es tat – die Mundwinkel zu einem sadistischen Lächeln verzogen und mit einem befriedigten Glanz in den Augen-, und während die letzten der morschen Stufen unter meinen Füßen knarrten, drängte sich mir unaufhaltsam die brennend interessante Frage auf, ob sich zersplitternde Halswirbel wohl ähnlich anhören mochten wie nachgebendes Holz.
    Ich wischte die Vorstellung mit einem nicht unerheblichen Aufwand an Selbstbeherrschung beiseite und dachte an Maria, wie sie oben auf den Zinnen des Turmes gestanden hatte, und zugleich auch an diesen mysteriösen Schatten, der nach ihr hatte greifen wollen. Er war da gewesen, daran bestand kein Zweifel. Ich hatte sein Gesicht nicht erkannt, aber ich war mir vollkommen sicher, dass die Journalistin nicht allein dort oben auf dem obersten Plateau gestanden hatte. Wer war das gewesen?
    Warum hatte er versucht, sie zu ergreifen, und wo war er nun? Ich hatte keine Ahnung, aber Maria musste es gewusst haben. Sie hatte lieber den Freitod gewählt, als sich ihm auszuliefern, sie hatte sich selbst erschossen, zum Teufel noch mal! Der grausige Anblick ihres schier endlosen Sturzes in den Hof hinab lief erneut wie ein Film vor meinen Augen ab, als betrachtete ich die ganze Szene in diesen Sekunden erneut und aus zig verschiedenen Kameraperspektiven auf einer Videowand in der Dunkelheit vor mir, die nur von einem schmalen Lichtkegel durchbrochen wurde. Ob sie noch gelebt hatte, als sie gestürzt war? Fast glaubte ich, den Ausdruck auf ihrem Gesicht zu erkennen, ehe sie auf dem Kopfsteinpflaster aufschlug. Unsagbare Furcht, Todesangst, die Gewissheit, sterben zu müssen, aber vielleicht auch Erleichterung, diesem Jemand oder diesem Etwas nicht in die Hände gefallen zu sein, weil alles, was sie nach dem Tod erwarten mochte, nur angenehmer sein konnte als das, was er ihr angetan hätte, hätte er sie erwischt. Wer hatte sie bloß verfolgt?
    »Was tuschelt ihr da vorne?« Carl richtete den Strahl der Taschenlampe direkt auf Judith und mich und fuchtelte drohend mit dem Lauf der Pistole in unsere Richtung.
    Judith hatte Recht. Maria hatte uns belogen und sie war weiß Gott nicht die Sympathie in Person gewesen. Die vermeintliche Bibliothekarin hatte es geschafft, Ellen schnell von ihrem Vorzugsplatz auf meiner ganz persönlichen Abschussliste zu verdrängen – aber das war nur metaphorisch gemeint. Carl hingegen, dieser widerliche fette Drecksack, hatte den Tod tatsächlich verdient. Er, dieser sinnlose Statist des Welttheaters, der uns noch viel mehr belogen hatte als die Journalistin, er, der keine Gelegenheit ausgelassen hatte, um Zwietracht zu säen, der meine kleine Judith beleidigt und mich zusammengeschlagen hatte und der uns, seit er dank der Schusswaffe in seiner Hand dazu befähigt war, wie Sklaven durch diese gottlose Burg scheuchte, er, der möglicherweise schon Stefan und Cowboystiefel-Eduard auf dem Gewissen hatte und vielleicht auch uns nun in unser Verderben trieb –
    Carl war derjenige, der längst hätte sterben sollen. Einen Moment lang war ich drauf und dran, auf ihn zuzustürmen und, achtunddreißig Kaliber hin oder her, einfach zu tun, was ich am liebsten getan hätte – nämlich ihn mit reiner Muskelkraft in Stücke zu reißen. Ich fragte mich, ob er

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