Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Titel: Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
auf meine langsam mit mir durchgehende Fantasie und sonstige emotionale Kapriolen einlassen, die letztlich wahrscheinlich nichts anderes waren als einer von vielen Auswüchsen akuter Überforderung, der ich wie alle anderen hier ausgesetzt war. Wenn mein Hirn noch so etwas wie Verstand beherbergte, dann musste ich alles daran setzen, diesen am entnervten Packen seiner Koffer und am endgültigen Auszug aus meinem Schädel zu hindern, indem ich allen Irrwitz, der lärmend versuchte Einzug in meinen Kopf zu halten, entschieden an der Schwelle bremste. Da war nichts. Ein Hauch von Moder vielleicht, der mit Sicherheit nichts Ungewöhnliches in einem alten Burgkeller darstellte; wahrscheinlich waren es nur die morschen Stufen, die ein wenig seltsam rochen, mit Sicherheit aber war es nichts Besorgniserregendes.
    Ich tastete nach dem alten, schwarzen Drehschalter, der an der Wand des Treppenhauses zu meiner Rechten angebracht war, und drehte ihn. Ein unangenehmes Knirschen erklang, aber natürlich flammte kein Licht unter der auch im unteren Treppenhaus holzvertäfelten Decke auf. Ich schalt mich einen Narren, überhaupt nach dem Schalter getastet zu haben, denn ich hätte es wirklich besser wissen müssen. Ich konnte nicht erwarten, dass alles auf einmal wieder war wie früher.
    »Erst der Schatz, dann die Frau«, gab Carl an Judith gewandt mit dem anzüglichen Grinsen zurück, das mich an ihm mindestens so sehr anekelte wie die Krampfadern zwischen seinen Schenkeln. »Vielleicht stöhnst du ja in unserer Hochzeitsnacht zur Abwechslung mal für mich?
    Geld wirkt manchmal wahre Wunder. Und jetzt vorwärts«, schloss er mit einer neuerlichen, scheuchenden Bewegung mit der Achtunddreißiger in seiner Rechten, »schlag hier keine Wurzeln, Püppchen.«
    Fast wäre ich ihm dankbar gewesen für sein anstößiges, unverschämtes Verhalten, denn es hatte den Vorteil, dass es zumindest für einen kleinen Augenblick mein unterschwelliges Unbehagen durch neuerliche handfeste Wut, fast schon wieder Hass, ersetzte. Es war unglaublich, was man sich alles erlauben konnte, obwohl man zwanzig Kilo Übergewicht und fettige Haare hatte, sobald man nur eine lebensbedrohliche Waffe in den Händen hielt. Aber irgendwann würde er die Luger ablegen müssen, er würde nicht sein Leben lang damit herumlaufen können. In mancher Hinsicht hatte ich ein ausgesprochen gutes Gedächtnis, und der dicke Wirt würde für jede Beleidigung, mit der er meine kleine Judith bedachte, fünffach und schmerzhaft zahlen – zusätzlich der Rechnungen, die er und ich ohnehin noch miteinander offen hatten.
    Judith spürte meine Anspannung und zog mich fast eilig mit sich die Stufen hinab. »Dieses Arschloch«, zischte sie mir zu, als wir ein paar Schritte Vorsprung gewonnen hatten. »Wünschtest du dir nicht auch, er wäre tot?«
    Ohne im Laufen innezuhalten, maß ich sie mit einem verblüfften Blick von der Seite. Sie hatte ein gutes Recht, wütend auf Carl zu sein, mehr noch als ich in diesen Sekunden, denn schließlich hatte er sie direkt verbal angegriffen, nicht mich. Aber das Ausmaß ihres Zornes erstaunte mich trotzdem. Ich hatte registriert, dass jeder von uns in diesen finsteren Gemäuern bereits einige beachtliche charakterliche Schwächen offenbart hatte und dass wir alle unter der seltsamen, durch und durch negativen Atmosphäre zwischen den kalten Steinquadern, aus denen die Mauern zusammengesetzt waren, litten. Sicher waren wir deshalb aggressiver und reizbarer, als wir uns selbst in unserem ganzen Leben außerhalb dieser verwunschenen Burg je erlebt hatten. Aber wenn es jemanden gab, der sich trotz allem bislang relativ unter Kontrolle gehabt hatte, zumindest was die Aggressionen anbelangte, die in unregelmäßigen Abständen von jedem von uns Besitz ergriffen, dann war es Judith. Und obwohl ich mir tatsächlich wünschte, dass Carl einfach tot umkippen und zum Ausweiden bereit zu unseren Füßen liegen bleiben würde, tat es mir fast weh, Judith so reden zu hören. Sie war die Vernunft unter uns, sie war mein ganz persönlicher Ruhepol, daran konnte auch der eine oder andere Schlagabtausch zwischen Ellen und ihr nichts ändern. Sie konnte sich herzhaft aufregen, aber ich hätte nicht gedacht, dass auch sie in der Lage wäre, fast schon so etwas wie Mordlust zu empfinden. Nun aber schien es mir, als meinte sie durchaus ernst, was sie sagte. Sie sollte an sich halten, dachte ich, sie sollte ihre Sanftmut bewahren, denn sie hatte es nicht nötig, über

Weitere Kostenlose Bücher