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Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Titel: Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
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Überwachungsgerät hätte sein können, nicht einmal ein Guckloch, und so bemühte ich mich darum, das unbehagliche Gefühl zusammen mit Ellens düsteren Thesen aus meinem Bewusstsein zu verdrängen.
    Wir hatten die stählerne Tür erreicht, von der im Gegensatz zu allen anderen, auf die wir hier unten gestoßen waren, keine Farbe abblätterte. Sie wies auch keine Spuren von Rost auf, sondern erschien im Gegenteil erstaunlich neu und modern, und neben ihr ließen auch keine gotischen Lettern auf der Wand auf den Inhalt des dahinter liegenden Raumes schließen. Judith drückte die Klinke und rüttelte einen kleinen Moment daran, aber die schwere Tür ließ sich keinen Millimeter bewegen.
    Judith hob die Schultern und schüttelte den Kopf. »Hier geht es nicht weiter«, stellte sie fest und deutete auf den nächsten einmündenden Gang in wenigen Schritten Entfernung rechts neben der Tür. »Lasst uns dort entlanggehen.«
    Fast hätte ich mich geweigert, auch nur einen einzigen Meter weiterzugehen, als meine Augen den gotischen Schriftzug erfassten, der den abzweigenden Gang als den Weg zum Aktenlager II sowie zur Forschungssammlung I auswies, aber dann überwand ich mich doch dazu, weiterzugehen. Wenn ich ein weiteres Horrorkabinett durchqueren musste, um aus diesem Geisterschloss herauszufinden, dann musste ich das eben in Kauf nehmen. Ich war längst gezwungen, alles in Kauf zu nehmen, was von mir verlangt wurde, damit ich diese Burg, dieses Labyrinth, die ganze Stadt wieder verlassen durfte. Damit ich am Leben blieb.
    Der als Forschungssammlung I bezeichnete Raum stand seinem Nachfolger unter dem Turm, was seine Größe anbelangte, in nichts nach. Was die Einrichtung betraf, war er allerdings eine Überraschung: Sie wirkte alles andere als alt und überholt, sondern ganz im Gegenteil moderner und fortschrittlicher als alle Physik-, Chemie- und Biosäle zusammen, die ich im Rahmen meiner Schullaufbahn betreten hatte – und das waren in Folge meiner häufigen Internatswechsel wirklich viele gewesen. Die große Halle wurde nicht von schwachem Notlicht, sondern von grellen Neonröhren erhellt, die alles darin in gleißendes, keine Schatten werfendes Licht tauchte. Es gab einen mehrere Meter messenden Laborplatz mit einer rotbraun gekachelten, feuerfesten Tischplatte in der Mitte des weitläufigen Raumes, auf dem ein modernes Mikroskop stand, das zu meinem Schrecken wie alles andere hier kein bisschen verstaubt, sondern durchaus intakt, gepflegt und wie vor kürzester Zeit noch benutzt wirkte. Beim blitzsauberen Anblick der Tischplatte hätte es mich wahrscheinlich nicht zusätzlich verwundert, wäre das Gerät noch eingeschaltet gewesen. Das Licht unter der verstellbaren Linse brannte zwar nicht mehr, aber der Stecker steckte noch immer in einer ebenfalls recht neu wirkenden Plastikanschlussbuchse, die von einer Stange, um die ein flexibles Kabel spiralförmig gewickelt war, auf halber Höhe des Raumes über dem Laborplatz herabhing. In einer Ecke des Raumes erspähte ich eine noch fortschrittlicher wirkende technische Einrichtung, die auch mein Laienauge sofort als modernes Rasterelektronenmikroskop ausmachte, und an den Wänden ringsum waren Glasvitrinen aufgestellt, die denen im Bioraum meines letzten Internates glichen, in dem ich mein Abitur absolviert hatte, und die dieser Einrichtung in der Tiefe unter der Burg offenbar ihren Namen gegeben hatten: Ordentlich aufgestellt in nahezu akribischen Abständen befanden sich gläserne, mit Formalin gefüllte Zylinder in den sogar von innen mit kaltem Neonlicht beleuchteten, durchsichtigen und streifenfrei polierten Schränken, und in jedem der Glaszylinder wurde jeweils ein menschliches Gehirn aufbewahrt. Ein Gefühl der Beklemmung breitete sich in mir aus. Auch wenn das Grauen hier buchstäblich kein Gesicht mehr hatte, fühlte ich mich doch kaum besser als in dem furchtbaren Leichen-Schauhaus unter dem Schallraum.
    Auf allen Zylindern klebten kleine weiße Schildchen, auf denen in ordentlicher Handschrift Zahlencodes vermerkt worden waren. Einige der aufgeklebten Papierstreifen waren bereits stark vergilbt, doch eine nicht unerhebliche Menge machte zu meinem Entsetzen den Eindruck, als sei sie erst vor kurzem auf die Glasbehälter aufgeklebt worden – wahrscheinlich eine Maßnahme, um nicht mehr lesbare, besonders alte Zettel zu erneuern, redete ich im Stillen beruhigend auf mich ein. Das Alter der Klebestreifen musste nichts, aber auch gar nichts mit dem Alter

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