Nemti
sagen, holt der Mann erneut aus. In Bruchteilen von Sekunden sieht er den Knüppel auf sich heruntersausen. Mit einem Aufschrei stürzt Alexandre zu Boden. Er hat mit einer Attacke gerechnet, aber nicht den Hauch einer Chance zur Gegenwehr. Mit einem letzten Gedanken an Chantal schwinden ihm die Sinne.
*
Am nächsten Morgen finden Spaziergänger in der Nähe der Kirche Sainte-Marguerite die Leiche eines Mannes. Sie liegt in einem Gebüsch hinter einer niedrigen Mauer. Die Leute verständigen die Polizei. Bald stellt sich heraus, dass es sich bei dem Toten um Alexandre Beauchamp handelt. Er hat eine schwere Kopfverletzung, die von einem wuchtigen Schlag herrührt, der aber nicht tödlich war. Sein Leichnam wirkt blutleer. Der Täter hat ihm mit einer scharfen Klinge die Kehle aufgeschlitzt und in die rechte Wange ein Symbol eingeritzt.
Aus einem nicht nachvollziehbaren Grund sind die Hintergründe des Mordes so brisant, dass der Erste Präfekt der Pariser Polizei, Louis Nicolas Dubois, persönlich die Ermittlungen übernimmt. Es gibt bald einen Verdächtigen, doch dessen Unschuld stellt sich wenige Tage später heraus. Der Mord wird nie aufgeklärt.
Zwölf Tage später wird im berüchtigten Bois de Boulogne, dem Zufluchtsort von Gaunern und Verfolgten, unter einem Haufen verrotteten Reisigs eine weitere Leiche gefunden, auch sie ausgeblutet und mit dem Symbol gekennzeichnet. Wie schon Alexandre Beauchamp ist auch diesem Mann die Kehle durchschnitten worden – mit einer Waffe, die nicht identifiziert werden kann.
Es ist der dreißigste Vendémiaire im Jahr dreizehn der Republik, der 22. Oktober 1804.
Mittwoch, 1. August 2001
A n der Landespolizeischule Rheinland-Pfalz fielen wegen einer grassierenden Grippewelle die Vorlesungen für die kommenden zwei Tage aus. Lukas überlegte, wie er die Zeit sinnvoll nutzen könnte. Schnell stand fest, dass er zu seinen Eltern nach Mayen fahren würde. Er suchte einige Lehrbücher heraus und legte sie in seinen Aktenkoffer. Danach griff er den Beutel mit der schmutzigen Wäsche und verstaute alles im Kofferraum seines Geländewagens.
Vorab ein gutes Frühstück und dann konnte es losgehen. Mit knurrendem Magen suchte er die Mensa auf.
Der Weg führte am Schwarzen Brett vorbei, an dem manchmal interessante Aushänge angebracht waren. Er überflog sie. Ein Informationsblatt des Observatoriums Hoher List bei Schalkenmehren weckte sein Interesse. Er nahm es herunter und studierte eingehend den Text. Seit Februar bot die Sternwarte der Universität Bonn, die Betreiberin des Observatoriums, einwöchige Beobachtungspraktika an. Unter Anleitung von Doktor Kamal el Hadary und Jan Gleißner konnten Schülerinnen und Schüler erste Erfahrungen auf verschiedenen Gebieten der Astronomie sammeln.
Jan Gleißner, der Name ließ ihn stutzen. Eine zufällige Namensgleichheit oder sollte das tatsächlich Jan sein, ein Klassenkamerad, den er vom Gymnasium her kannte? Vor fünf Jahren hatten sie das Abitur bestanden und sich danach aus den Augen verloren.
Kurz entschlossen änderte Lukas seinen Plan. Er würde nach Schalkenmehren fahren. Nach dem Frühstück machte er sich auf den Weg.
Lukas lenkte seinen Wagen auf einen Grasstreifen neben dem Zufahrtsweg zum Observatorium. Mit einem Blick aus dem Seitenfenster orientierte er sich. Auf der rechten Seite, in einem Talkessel, lag Schalkenmehren mit dem gleichnamigen Maar. Linker Hand standen auf dem Hang verstreut die Gebäude des Observatoriums. Er stieg aus und spazierte auf einen Abzweig zu, den er für den Eingang hielt. Leider gab es keinen Wegweiser. Weit und breit erblickte er keine Menschenseele. Zu welchem Gebäude sollte er gehen? Kurz entschlossen entschied er sich für den Weg, der nach links abging und zu einer Kuppel führte. Eine lange Freitreppe verlief den Hang hinauf zu den oberhalb gelegenen Häusern. Kaum aus der Puste gekommen, obwohl er das Tempo beim Treppensteigen drastisch gesteigert hatte, erreichte er das Hauptgebäude.
An den weiß gestrichenen Wänden im Eingangsbereich hingen Bilder von astronomischen Objekten, vermutlich aufgenommen mit den Instrumenten des Observatoriums. Die Fotos würde er sich später genauer ansehen, zunächst wollte er Jan suchen.
Aus einem der angrenzenden Räume drangen Geräusche an sein Ohr. Sacht drückte er die Tür auf und entdeckte einen Mann, der an einem Diaprojektor werkelte. Größe und Figur passten. Die blonden, gelockten Haare trug er allerdings
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