Wir tun es für Geld
Aber hallo
Ich hätte nie gedacht, dass alles so schön wird. Es erschreckt mich. Ines sieht in ihrem Brautkleid so wunderbar aus, dass ich mir neben ihr wie ein Sack Brennholz vorkomme. Dazu die ganzen Leute auf den Stuhlreihen rechts und links von uns. Alles passt.
Unglaublich, welche Schätze die Kleiderschränke ausgespuckt haben. Mir ist, als ob uns beide eine leuchtende Aura umgäbe, und in meinem Kopf säuselt Chet Baker in Endlosschleife Time After Time. Noch vor wenigen Augenblicken ging es mir gut, aber jetzt werden meine Knie weich. Das ist alles ein Tick zu viel.
Vorne wartet Viktor in seiner schwarzen Pfarrerrobe. Es fällt mir schwer zu glauben, dass er es wirklich ist, auch wenn seine Haare, die genauso pechschwarz sind wie die Robe, wie immer wild abstehen und er, wie immer, dreinblickt, als hätte er für heute noch einen hinterhältigen Schuljungenstreich geplant. Er winkt uns zu sich nach oben. Mit einem Schlag ist Stille im Raum. In diesem Moment könnte man wirklich glauben, das wäre alles echt.
Natürlich konnte Udo aus seiner Kneipe Blaubarts Eck keine richtige Kirche zaubern, aber die Girlanden an der Decke sind so aufgehängt, dass man sie mit etwas gutem Willen als gotisches Gewölbe interpretieren kann. Dazu noch die passende Sitzordnung, ein paar geschickt verteilte Kerzen und Viktor mit Pfarrerkostüm auf der Bühne. Kein Wunder, dass ich weiche Knie bekomme. Wie es Ines wohl gerade geht? Ich kann ihr Gesicht hinter dem Brautschleier nicht sehen.
»Lukas Fink, willst du mit Ines Herzog den Bund der Ehe eingehen, mit ihr gemeinsam alle Höhen und Tiefen der Ehegattensplittingtabelle des Finanzamts ergründen und mit ihr zusammenleben, bis, ähm… ihr euch wieder scheiden lasst?«
Nein, also jetzt trägt er zu dick auf. Das Pfarrerkostüm ist schon hart an der Grenze, aber jetzt…
»Dann antworte mit: Aber hallo!«
Ich versuche ihn mit einem Blick zu töten, merke, dass es nicht klappt, verdrehe die Augen und seufze.
»Aber hallo.«
»Und du, Ines Herzog, willst du…«
Wieder die gleiche Leier. Dass er auch immer alles übertreiben muss.
»Dann antworte mit: Ja, verflixt noch mal!«
»Na gut. Ja, verflixt noch mal.«
Während die Menge in Jubel ausbricht, schiebt Viktor mich einen Schritt näher an Ines heran. Er kennt kein Erbarmen. Ich hebe ihren Schleier vorsichtig hoch, so wie man es aus den Kitschfilmen kennt, und sehe ihr in die Augen. Sie guckt mich an. Nein, ihr ist auch nicht wohl in ihrer Haut. Das ist wirklich alles ein Tick zu viel.
Seltsam, mich hat nie jemand gefragt, ob ich Ines schön finde, und ich weiß auch nicht, was ich darauf gesagt hätte. Ines schön? Sie ist einfach meine Mitbewohnerin, sorgt für Ordnung, erheitert mich mit sarkastischen Bemerkungen und ist der Garant dafür, dass die Miete pünktlich bezahlt wird. Und das schon seit über acht Jahren. Schön? Da verliert man mit der Zeit den Blick für.
Oder doch nicht? Genau jetzt, als ihr helles, zartes Gesicht mit den unverwechselbaren Schmolllippen hinter dem Schleier ganz nah, so nah wie noch nie, vor mir auftaucht und mich etwas gequält anlächelt, finde ich sie unglaublich schön. Ihre blauen Augen sind elfenhaft klar und gleichzeitig so lebendig und warm. Jetzt erst wird mir bewusst, dass sich Welten dahinter verbergen, die ich nie betreten habe. Geheimnisse, Sagen, Schätze. Je länger ich gucke, umso mehr zieht es mich in sie hinein. Ich…
»Sie dürfen die Braut jetzt nicht küssen.«
Manno. Auf den Satz hat er sich bestimmt schon die ganze Zeit gefreut. Als ob ich das vorgehabt hätte… Aber, doch, kein Zweifel, genau in diesem Augenblick würde ich nichts auf der Welt lieber tun. Ich kann mich nicht mehr bewegen. Dafür beginnt etwas in mir sich zu bewegen. Es schnurrt sanft, tickt leise und hört nicht mehr auf. Ines’ Lächeln wird langsam zu einem Fragezeichen.
Ich weiß nicht, wie lange wir so dastehen. Irgendwann wendet sie sich um, lässt den Kopf aber noch für wenige Momente in meine Richtung gedreht und zieht ihn erst dann im Zeitlupentempo nach. Ich löse mich aus meiner Starre, und wir gehen endlich von der Bühne. Das Klatschen und Johlen höre ich kaum. Erst als ich Vanessa sehe, die mir aus der Menge heraus die Arme entgegenstreckt, wird es wieder lauter in meinem Kopf, als wäre sie ein Hypnotiseur, der gerade mit den Fingern geschnipst hat. Sie umarmt mich, wie sie es schon lange nicht mehr getan hat, und ich sehe am Rand meines Blickfelds Ines auf Bernds
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