Neobooks - Das Leben in meinem Sinn
bewusst. Er streift sich seine Charaktere über. Wie einen hautengen Ganzkörperanzug macht er sie sich zu eigen.
Ich hatte mir verboten, Bens Wege zu verfolgen. Wie leicht wäre es gewesen, auf dem Laufenden zu bleiben? Wie schwer war es hingegen gewesen – mit all den Medien, über die wir tagtäglich verfügen –, es nicht zu tun. Die Versuchung war immer präsent gewesen, immer unmittelbar greifbar und direkt vor meiner Nase. Wie oft hatte ich seinen Namen in meine Suchmaschine eingetippt und dann doch nicht auf die
Enter-
Taste gedrückt?
Nur Maggie hatte mich noch ein einziges Mal nach der Beendigung der Dreharbeiten angerufen und mir mitgeteilt, Ben wolle sich bald einem neuen Projekt widmen. Einem Filmprojekt, das hatte ich daraus geschlossen. Auf ein Theaterstück wäre ich nicht gekommen.
Überhaupt hatte ich sämtliche Fragen rund um Ben bereits im Ansatz abgeblockt und auch in jenem Telefonat mit Maggie schnell das Thema gewechselt, ohne auf ihre scheinbar beiläufige Bemerkung einzugehen.
An diesem einen Tag im Januar, unmittelbar nach unserer letzten gemeinsamen Pressekonferenz, hatte alles auf Messers Schneide gestanden. Ich war so kurz davor gewesen, in seine Arme zu sinken und ihm alles zu gestehen. Dass es mich schon lange nicht mehr kümmerte, weshalb oder mit wem mich Daniel hintergangen hatte, weil ich ohnehin die Erste gewesen war, deren Herz untreu geworden war. Ich wollte Ben gestehen, dass ich nicht mehr wusste, wann genau der Wendepunkt stattgefunden hatte, an dem meine Blicke länger auf ihm verweilt hatten, als es sich eigentlich gehört hätte, aber dass es sich schon lange so anfühlte, als hätte ich mein Leben lang nur auf ihn gewartet. Ich wollte ihm erklären, dass die Liebe, die ich für ihn empfand, so mächtig war, dass sie mir eine Höllenangst einjagte. Ich wollte ihm sagen, dass ich von Natur aus gerne die Kontrolle über die Dinge hatte und dass das Wissen, er könne mich schlichtweg zerbrechen, würde er mir eines Tages seine Liebe entziehen, mir bereits etliche schlaflose Nächte bereitet hatte. Und ich wollte ihn anflehen, es trotz alledem bitte dennoch mit mir zu versuchen. Am meisten jedoch wollte ich ihm sagen, dass ich bereit dazu wäre, dem
Uns
, das ich so lange vergeblich geleugnet hatte, eine echte Chance zu geben.
Und dann … ja, dann war Jeff mit seinem Skript durch diese Tür gestürmt und hatte mich davor bewahrt, eine große Dummheit zu begehen. Denn sobald ich es schaffte, über das wilde Schlagen meines überschäumenden Herzens hinweg auf meinen Verstand zu hören, überzeugten mich die Fakten binnen Sekunden erneut davon, dass eine Beziehung zwischen Ben und mir einfach nicht funktionieren könnte, so sehr ich mir das auch wünschen mochte. Wir waren beide ständig in Filmprojekte eingebunden, und Josie würde …
Moment!
Verwirrt blicke ich auf den schönen Mann unter mir, der nach wie vor auf der Bühne am Piano sitzt und mich mit den sanften Tönen, die er dem riesigen Instrument entlockt, förmlich zu umhüllen scheint.
Nein, die Möglichkeit, er könne zum Theater zurückgegangen sein, war mir tatsächlich nie in den Sinn gekommen.
Warum eigentlich nicht?,
frage ich mich nun. Denn als ich ihn so sehe – allein auf dieser großen Bühne, die Blicke sämtlicher Zuschauer auf sich gebündelt – da weiß ich plötzlich, dass Ben genau da ist, wo er hingehört.
Kaum ist der letzte Ton seines Spiels unter der hohen Decke verhallt, setzt tosender Applaus ein. So unvermittelt, dass ich aus meiner Versunkenheit schrecke.
Die Handlung des Stücks ist gar nicht so traurig, wie der Titel und die Aufmachung der Plakate es vermuten lassen.
Ben spielt einen reisenden Pianisten, einen echten Frauenhelden, der an jedem neuen Ort zumindest eine neue Liebschaft hat. Er gewinnt Eindrücke verschiedener Länder und Kulturen, ist anerkannt, wird überall gefeiert und umjubelt und genießt sein Leben in vollen Zügen. Nach einigen einschneidenden Erlebnissen wird ihm jedoch bewusst, dass er im Grunde seines Herzens sehr einsam ist. Am Ende eines jeden Abenteuers bleiben immer nur er und sein Piano zurück.
Für mich ist es eigenartig, Ben als selbstbewussten, extrovertierten Mann zu erleben. Ich erschrecke, als ich bemerke, wie sehr mir diese Rolle an ihm gefällt. Er sieht … unglaublich sexy aus in seinem Frack, mit den streng zurückgekämmten Haaren und diesem Blick, mit denen er die Frauen des Stücks eine nach der anderen um den Verstand bringt. Und
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