Neobooks - Das Leben in meinem Sinn
schmiegt sich noch enger an mich.
Ich denke an das letzte Interview zurück. Ist es wirklich erst eine halbe Stunde her, dass diese erschöpfte Frau so enthusiastisch und voller Elan über die gemeinsamen Dreharbeiten berichtet hat? Die riesigen Kopfhörer auf den Ohren und das Mikro direkt vor ihren Lippen, hatte sie auf dem Drehstuhl gesessen und den Großteil der Fragen beantwortet. Die Beine wippend übereinandergeschlagen, erzählte sie, dass
Lea
im Grunde genommen
Rons
Gegenstück sei. »Sie ist offen, positiv und ziemlich furchtlos.«
Genau wie du,
hatte ich in Gedanken hinzugefügt.
Ich beobachte weiter ihr Gesicht und streichele ihren Arm. Beschließe heimlich, dass es in Ordnung ist, Sarah zu lieben, weil es ohnehin hoffnungslos ist und ich sie nie so werde genießen können, wie ich Shirley genießen durfte.
Ausschließlich die romantischen Liebesszenen zwischen
Ron
und
Lea
bieten mir die Möglichkeit, Sarah für die Dauer des Drehs meine Gefühle zu offenbaren. Ohne schlechtes Gewissen. Meine Rolle verlangt es schließlich, dass ich Sarah – gut,
Lea
– von ganzem Herzen liebe.
Und so ist
Ron
zu meinem perfekten Alibi geworden! Im wirklichen Leben sind es Situationen wie diese – ein freundschaftlicher Händedruck, ein tiefer Blick, ein unschuldiger Kuss auf die Wange, ein sanftes Lächeln und eben der Kopf einer schlafenden Sarah auf meinem Schoß – die ich genießen und aufsaugen muss. Ich beschließe, mich dankbar damit zufriedenzugeben. Mir meine Liebe zu ihr anmerken zu lassen, würde bedeuten, Sarah in Verlegenheit zu bringen, die Freundschaft zwischen uns zu zerbrechen und die gemeinsame Arbeit erheblich zu erschweren.
Nein, ich schweige. Das kann ich, denn das habe ich von klein auf gelernt. Ich habe es gelernt, zurückzustecken und das Wohl anderer vor mein eigenes zu stellen.
Als ich noch ein Kind war, zog meine Familie immer dann weiter, wenn ich glaubte, endlich angekommen zu sein. Ein trügerisches Gefühl und eigentlich immer ein Indikator dafür, dass der Tag nahte, an dem mein Vater nach Hause kam und verkündete, er sei wieder versetzt worden. Kurz nach dieser Meldung ging es dann los: Meine Eltern begannen, alles einzupacken – all die kleinen und großen Schätze, die eine gewisse Vertrautheit boten, weil sie immer wieder ein- und ausgepackt wurden, egal wohin es ging. Am Tag der Abreise schloss mein Dad die Tür hinter uns zu, und meine Mutter nahm mich bei der Hand. Gemeinsam begaben wir uns auf eine neue Reise ins Ungewisse. Wir kamen irgendwo an, in einem fremden Land, mit fremder Sprache und Kultur und waren wieder einmal die Außenseiter.
Ich war immer ein stiller Junge gewesen und hatte überall enorme Schwierigkeiten gehabt, Freunde zu finden. Meist gelang mir das erst, wenn der nächste Abschied bereits in greifbare Nähe rückte.
Später, als Teenager, unterdrückte ich manch eine aufkeimende Jugendliebe aus Furcht vor der unausweichlichen Trennung, die mir früher oder später ja doch wieder bevorstand. Wenn der Moment gekommen war, litt ich auf die gleiche Art, wie ich geliebt hatte. Still und unbemerkt. Mit achtzehn Jahren zog ich aus und lebte seither allein.
Meine Angewohnheit, heimlich und still zu lieben, habe ich bisher nur einmal aufgegeben. Für Shirley. Bei ihr war das Bedürfnis zu groß, mit offenen Karten zu spielen. Zunächst versuchte ich es durch kleine Botschaften – meist Liedtexte, die ihre Wirkung zu verfehlen schienen –, doch später, in einem langen Abschiedsbrief, gestand ich ihr alles sehr ausführlich. Sogar, dass ich mich bereits am ersten Abend in sie verliebt hatte. Bei Shirley hatte mich die Liebe wie ein Blitzschlag getroffen.
Mit Sarah hingegen ist es anders. Hier hat sich etwas entwickelt, das so leise und klammheimlich begann, dass ich es anfangs nicht einmal bemerkte. Sonst hätte ich es vermutlich im Keim erstickt. Nein, ich kann den genauen Zeitpunkt nicht ausmachen, an dem aus stiller Bewunderung und anfänglicher Freundschaft Zuneigung wurde und sich diese dann in Liebe gewandelt hat.
Nur eins steht für mich fest: Mit Sarah wird es keine weitere Ausnahme geben. Ich kann der brüderliche Freund sein, mit dem sie scherzt und den sie sehr mag, aber nicht mehr. Das sind die Regeln. Die, die über Jahre hinweg funktioniert haben und die es zu beachten gilt. Ich kann das! Was ich hingegen ganz und gar nicht kann, habe ich mit Shirley erschreckend deutlich unter Beweis gestellt …
Ein Surren ertönt. Die Scheibe zur
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