Neobooks - Das Leben in meinem Sinn
treffen, lächeln wir uns an – es geschieht automatisch. Und endlich lasse ich das Gefühl bewusst zu, das ich so lange vergeblich verdrängt hatte. Ja, ich liebe Ben!
Nicht erst seit gestern. Ich hatte mir geschworen, treu zu sein – eisern und unbeugsam –, doch mein Herz gehört schon lange ihm.
Am Nachmittag liege ich mit Josie in Bens Hängematte und lese ihr aus einem Märchenbuch vor. Als ich umblättere und dabei zu Ben herüberschaue, der seine Beine hochgelegt hat und ebenfalls in einem Buch liest – das dachte ich zumindest –, begegne ich seinem Blick. Und der ist so weich, zärtlich und … ja, liebevoll, dass ich mich sekundenlang nicht losreißen kann. Viel zu lange sehe ich ihn an. Vielleicht ist es die Liebe, die überdeutlich in Bens Augen steht, oder die Tatsache, dass er in diesem enganliegenden, weißen T-Shirt und den verwaschenen Jeans einfach umwerfend aussieht. Was auch immer es tatsächlich ist – in diesem Moment wünsche ich mir nichts mehr, als ihn zu küssen und durch seine weichen, herrlich verstrubbelten Haare zu fahren. »Mommy?«, sagt Josie, deren Geschichte ich von jetzt auf gleich unterbrochen habe. Sie reißt mich aus meiner Versunkenheit. Schnell lese ich weiter, bemerke aber noch, wie Ben schmunzelt und Alberta zwischen ihm und mir hin- und herblickt. Als er sich kurz darauf erhebt und ich meinen Kopf erneut hebe, entgeht ihr das nicht. »Ich hole mir etwas zu trinken, möchtest du auch etwas?«, fragt Ben. Ich schüttele hastig den Kopf und sauge an der Innenseite meiner Unterlippe. Dieses dämliche Grinsen lässt sich kaum unterbinden, und Alberta sieht uns mittlerweile so intensiv an, als wisse sie genau, was zwischen uns läuft.
Ob es tatsächlich so ist? … Und wenn ja, was denkt sie dann bloß von mir?
… Sie, die Frau, die ihr Leben lang allein geblieben ist, weil sie bis zum heutigen Tage ihrer ersten und einzigen großen Liebe nachtrauert.
Albertas Verlobter verstarb sehr jung. Was damals genau geschah, hat sie mir nie erzählt, und ich habe auch nicht weiter nachgebohrt. Ich weiß nur, dass sie Italien nach diesem schrecklichen Ereignis verließ, mit Hilfe einer Greencard zu ihrem Onkel nach L.A. zog und hier vollkommen neu begann.
Was soll diese Frau, die ihrer ersten großen Liebe ein Leben lang im Herzen treu geblieben ist, von mir denken, wenn sie wirklich ahnt, was ich getan habe?
Gedankenverloren sehe ich Josie nach, die hinter Ben und Alberta quer durch den langen Garten und über die Terrasse hüpft und schließlich in der Wohnung verschwindet, um eine Limo zu trinken. Endlich finde ich die Zeit, mich einem Buch zu widmen, das ich auf Bens überfülltem Regal gefunden habe und dessen Klappentext mich sofort angesprochen hat. Und der Autor, von dem ich nie zuvor gehört oder gelesen habe, schafft es mit seinem Schreibstil dankenswerterweise, mich binnen weniger Seiten in eine vollkommen andere Welt zu entführen, in der meine Probleme und mein schlechtes Gewissen keine Rolle mehr spielen. Das eigene Leben auszublenden mag keine Lösung sein, aber es kann extrem gut tun.
[home]
Ben erzählt.
V iel zu früh neigt sich die Sonne und taucht den Himmel in ein leuchtendes Orange. Beinahe schlagartig wird es kühler. Mit viel Geduld überredet Alberta Josie, eine Strickjacke überzuziehen, während Sarah noch immer barfuß im Schatten der hohen Bäume und Lorbeersträucher im hinteren Teil des Gartens liegt. Versunken liest sie in einem meiner Bücher, stößt sich dabei immer mal wieder mit der großen Zehe vom Boden ab und versetzt der Hängematte auf diese Weise einen regelmäßigen Schwung. Ich beobachte sie eine Weile lang, dann gehe ich zu ihr und lehne mich an den Baumstamm zu ihren Füßen. Hier hinten sieht uns niemand; Josie und Alberta spielen auf der Terrasse Memory. »Hi«, flüstere ich trotzdem.
Sarah blickt hinter dem Buch hervor. »Hallo.«
Ich erkenne ihr Grinsen, auch wenn nur ihre Augen sichtbar sind. Verlegen schaue ich auf sie herab. »Gute Story?«
»Brillant, ja. Wirklich sehr, sehr schön! Handelt von einer besonderen Freundschaft zwischen einem farbigen US-Soldaten und einem kleinen deutschen Mädchen, das im zweiten Weltkrieg schwer verwundet wurde. Die beiden begegnen sich später, Ende der Sechziger in den Staaten wieder und …« Sarahs Stirn legt sich mit einem Mal in Falten. »Sag mal, du kennst es noch nicht?«
»Nein, ich bin noch nicht dazu gekommen, es zu lesen«, gestehe ich. »Werde ich nachholen, sobald du
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