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Return Man: Roman (German Edition)

Return Man: Roman (German Edition)

Titel: Return Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.M. Zito
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Der Roark-Auftrag
    1 . 1
    Die Leiche hockte mit entblößtem schlaffem Oberkörper im schlammigen Wasser am Ufer des Sees und schnappte nach Elritzen, die zwischen den mit Algen bewachsenen Steinen umherhuschten. Marco beobachtete sie durch sein Fernglas. Manchmal erstaunten die Toten ihn schon– sie hatten so flinke Finger und wirkten doch so unkoordiniert. Wie Kleinkinder. Er sah, wie die Leiche zugriff und die leeren Hände aus dem Wasser zog. Dann starrte sie auf ihre Handfläche, während ihr Reptiliengehirn nach der Ursache für dieses Missgeschick forschte. Nachdem ihr auch das nicht gelang, versuchte sie, den nächsten Fisch zu fangen, der wie ein silberner Blitz durchs Wasser schoss.
    Marco kniff die Augen zusammen.
    Da. An der linken Hand des toten Mannes.
    Ein Ehering.
    Er zoomte den Ring heran. Schmuck war wie ein Sechser im Lotto, wenn es um die Identitätsbestimmung ging. Haut verweste, Haar fiel aus; dicke Menschen schrumpften, und dünne Menschen wurden von Fäulnisgasen und Bakterien aufgebläht. Wenn man aber das Glück hatte, Schmuck an der Leiche zu finden– ein identifizierbares Schmuckstück, das nicht abgerissen oder abgebissen worden war, dann hatte man den Beweis. Wenn man den Schmuck präsentierte, bezweifelte niemand, dass man den Job erledigt hatte.
    Unterhalb seines Standorts tauchte die Leiche wieder die Hand ins Wasser und wühlte den Schlick auf.
    » Komm schon«, murmelte Marco. » Komm schon. Zeig’s mir.«
    Die Leiche spreizte die Finger, als ob sie ihn gehört hätte.
    Was natürlich unmöglich war. Den Hochsitz, auf dem Marco nun schon seit drei Tagen campierte, hatte er in sicherer Entfernung zweihundert Meter bergauf eingerichtet – er verbarg sich hoch oben in einer jungen Drehkiefer, die ihm gute Deckung bot und mit den langen grünen Nadeln die Zeltplane tarnte. Die Plattform maß nur anderthalb Meter im Quadrat; mit der ganzen Ausrüstung hatte er nicht einmal genug Platz, um beim Schlafen die Beine auszustrecken. Eine morgendliche Muskelverspannung nahm er für die sichere Höhe jedoch gern in Kauf. Der Ansitz war nur über die eisernen Stäbe zu erreichen, die er in regelmäßigen Abständen in den Baumstamm getrieben hatte; ausgeschlossen, dass eine Leiche sie zu erklimmen vermochte.
    Die Anleitung für den Bau eines Hochsitzes hatte er einem Jägermagazin entnommen, das er vor ein paar Monaten aus einer aufgegebenen Buchhandlung hatte mitgehen lassen– zusammen mit ein paar Gegenständen aus einem geplünderten Sportartikelgeschäft. Mit seiner gediegenen akademischen Ausbildung kam er hier nicht mehr weiter; Jägermagazine und topografische Karten waren die Lektüre, mit der er sich fortan befassen musste. Bevor die Zivilisation kollabiert war, hatte er nicht den Hauch einer Ahnung vom Überleben in der Wildnis gehabt. Nun ging er ohne eine vergilbte, mit Eselsohren verzierte Ausgabe von Camping für Anfänger im Rucksack nirgendwo mehr hin.
    Plötzlich verspürte er einen Stich am Hals. Er schlug nach der Mücke und zerdrückte sie auf der Haut.
    Mein Gott. Er fühlte sich total verdreckt und erschöpft. Er hatte diese Leiche nun schon seit fast einem Monat verfolgt. Und der Marsch zum See war eine ausgesprochene Strapaze gewesen. Er hatte den Jeep ungefähr dreißig Kilometer weiter südlich abstellen müssen, wo die Bergstraße vom Wrack eines neun Meter langen Ryder-Trucks blockiert wurde. Der Hänger hatte sich zwischen den Bäumen verkeilt– wohl schon vor Jahren, der Korrosion an der aufgerissenen Ladefläche nach zu urteilen. Die Innenausstattung war verschimmelt, die Instrumentenkonsole zerstört, und überall waren Fetzen von orangefarbenem verrostetem Metall verstreut. In der Kabine saß noch der Fahrer; ihm fehlten die Arme, und er war zum Skelett verwest. Irgendein Idiot, der bei der Evakuierung seinen ganzen Krempel mitgenommen hatte. War wie ein Irrer die Serpentinenstraße entlanggerast und hatte schließlich die Kontrolle über das Fahrzeug verloren.
    Es war unmöglich, das Wrack aus dem Weg zu räumen, und der Wald war so dicht, dass nicht einmal ein Geländefahrzeug hindurchgekommen wäre. Auf der Karte hatte Marco eine Alternativroute zum See gesucht, doch es wäre ein Umweg von drei Stunden gewesen, bei dem er allzu viel Benzin verbraucht hätte, das sowieso schon zur Neige ging. Also hatte er beschlossen, das Risiko einzugehen, die restliche Strecke zu Fuß zu bewältigen, und war einen Tag lang mit Rucksack und gezogener Waffe

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