Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis
König von da’Kandar sie bewohnte, durfte das Reich der Mitte nur von Pilgern betreten werden: zu Fuß und ohne Waffen! Vier Tagesmärsche dauerte es von jedem Grenzabschnitt an.«
Sie sah ihren Erben an. »Ich nehme an, dieses Gesetz wurde irgendwann geändert.«
Gideon schüttelte den Kopf. »Nein! Geändert hat sich nur die Einstellung der Menschen zu Gesetzen. Die Zitadelle ist das Heiligtum der Reiche, aber seit da’Kandar an Camora gefallen ist, gibt es im Reich der Mitte keine Wächter mehr, die für die Einhaltung des Gesetzes sorgen. Seit die Prophezeiung dort gefunden wurde, ist sie allerdings mehr Pilgerstätte als je zuvor. Zumindest jeder Seher, der auf sich hält, übernachtet einmal dort, in der Hoffnung auf wegweisende Träume.«
Dala nickte und lächelte. »Wie geschickt du mich an unsere Aufgabe erinnert hast?!«
Als er abwehrend die Hand hob, lachte sie auf. »Ich habe dich nur geneckt. Komm! Wir werden uns nun mit der Alten Schrift beschäftigen. Sie ist schwierig, weil sie sich aus Symbolen zusammensetzt, die mal für einen Laut und mal für ein ganzes Wort stehen. Ein ganzes Wort ist manchmal aber nur ein Laut in einem anderen Wort. Erschwerend kommt hinzu, dass viele der alten Wörter seit langem nicht mehr gebräuchlich sind. Obwohl es einst die Muttersprache der Verianer war, wird sie dir vorkommen wie eine Fremdsprache.«
Sie zog ein Pergament aus einem Stapel, setzte sich an den Tisch und zog einen Stuhl neben sich. »Ans Werk, Gideon! Übersetzen wir gemeinsam diesen Text, der den Anbau von Hafer beschreibt.«
»Beschreibt er den Ackerbau im Eis?«
»Natürlich nicht!« Dala sah ihn erst verdutzt an, dann lächelte sie verstehend. »Du bist Gelehrter und fragst dich natürlich, wie wir zu gebratenen Tauben und Wein kommen. Ich hatte bereits gesagt: Dies ist ein magischer Ort. Ein kühner Bergsteiger, der die Höhle des Göttergipfels betreten würde, würde nur eine dunkle Höhle vorfinden. Hier ist eine Zwischenwelt, wie ich sie gern nenne. Was Myria einst auf der Nebelinsel erschaffen hat, gelang ihr auch hier. Lass dich, wenn du Lust hast, von den Kellings in unsere ›Gärten‹ führen!«
Sie wartete Gideons Nicken ab, strich das Pergament glatt und erklärte: »Wohlan! Frisch ans Werk, mein Schüler!«
Rhonan wurde in einen Raum geführt, der eigentlich nur einem Krieger gehören konnte. Keine bestickten Kissen, sondern Wolfsfelle bedeckten Bänke und Stühle. Eine blankpolierte Rüstung, deren Brustharnisch ein geflügeltes Schwert zierte, stand in einer Ecke. Ein blauer Schild, der ebenfalls das Wappen da’Kandars zeigte, lehnte daran. Schwerter, Äxte, Lanzen und was es sonst noch an Waffen gab schmückten die Eiswände.
Er griff ein kurzes Schwert mit einer gebogenen Klinge und schwang es hin und her.
»Gewöhnungsbedürftig, nicht wahr?«, kam es von Palema, die plötzlich vor ihm stand. »Ich habe sie nach einem Muster selbst geschmiedet. Es war verschwendete Zeit. Die Krümmung eignet sich nur für kurze Klingen. Einem Langschwert sind sie nicht gewachsen.«
»Wohl kaum«, stimmte Rhonan zu. »Dieses ›Paff, da bin ich‹ ... bedeutet das, dass Ihr nur auf ungewöhnliche Art eintretet, oder bedeutet das, dass ich nie sicher sein kann, wer noch im Raum ist?«
Palema lachte. »Grundsätzlich beides! Aber du musst keine Angst haben, wir sind meist diskret.«
»Aber nicht immer!?«
Erneut ließ sie ihre strahlend weißen Zähne sehen. »Wie ich sagte: meist!«
Sie schritt zur Rüstung und strich über das Metall. »Die erste Rüstung, die das Wappen da’Kandars trug. Ist sie nicht großartig? Würdest du dich gern einmal selbst darin sehen?«
»Ich halte nicht viel von Rüstungen. Sie lassen zu wenig Bewegung zu.«
»Ja«, stimmte sie zu. »Das hab ich auch oft gedacht. Sie erschöpfen einen unweigerlich irgendwann.«
Sie öffnete eine Truhe, zog ein Kettenhemd heraus und hielt es ihm hin. »Nimm es in die Hand! Der Sage nach wurde es von Feen gesponnen, um einen Prinzen zu schützen, der ihre Königin retten sollte. Der Händler hat das sicher nur erzählt, um den Preis hochzutreiben, aber ein feineres und leichteres Kettenhemd habe ich in all meinen Jahren nicht mehr gefunden.«
Rhonan wog es in der Hand und nickte beeindruckt. »Leichter als eine Lederrüstung!«
»Ja! Für dich leider zu klein. Aber genug davon. Lass uns zu wichtigeren Dingen kommen! Vor uns liegt eine Menge Arbeit. Du musst den Weg zur Quelle ebnen, damit sie wieder
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