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Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis

Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis

Titel: Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Sons
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    Prolog
    Vor einer Zeit, die Menschen eine Ewigkeit nennen
     
    Mit vielem hatte er gerechnet, aber nicht damit, dass eine Ziege einmal wertvoller sein könnte als er. Er schüttelte den Kopf, verdrängte diesen Gedanken rasch und setzte eine stolze Miene auf. Die Göttin würde ihn kaum erhören, wüsste sie, dass er ihr anbot, was er für das Entbehrlichste hielt, das er besaß: sein Leben!
    »Nur noch ein Wunder könnte ihr helfen. Bereite dich auf das Schlimmste vor!«
    Die Worte der alten Kräuterfrau summten wie Sommerfliegen an ihm vorbei. Er war vielleicht nicht klug, konnte jedoch selbst erkennen, wie es um seine Frau stand.
    Sein Blick glitt vom bleichen Gesicht zum hochgewölbten Laken. Zärtlich ergriff er die schmale Hand, die zwischen zerwühlten Tüchern lag, und presste sie an seine Lippen. Keine Wärme spürte er, nur die Schwere eines schlaffen Arms. Er nickte, hauchte einen Kuss auf die nasse Wange, erhob sich und verließ die Hütte.
    »Wohin gehst du?« Die Frage der Alten hörte er bereits nicht mehr.
     
    Klare Luft umfing ihn nach dem schweißgetränkten Dunst der Kammer, und obwohl es spät am Abend war, schien die Sonne hell und klar. Denn es war der längste Tag des Jahres: der Göttertag.
    Die Opferrituale waren längst beendet, und dankbare Männer, Frauen und Kinder sangen und tanzten um prasselnde Freudenfeuer herum. Ausgelassen hüpften sie im Reigen oder prosteten sich mit irdenen Krügen zu.
    Er eilte über den Dorfplatz, hastete unter Lautenklängen und Flötenspiel vorbei an Bänken und bunt geschmückten Tischen, vorbei an Nachbarn und Bekannten, schüttelte eine Hand ab, die ihn in den Tanzkreis ziehen wollte, und hetzte zwischen Feldern und Wiesen den Hügel hinauf, auf dessen Kamm der Altar der Schicksalsgöttin Haidar lag. Steiler und steiler ging es bergauf, doch seine Schritte wurden immer schneller, denn Kinderlachen hallte in seinen Ohren. Endlich erreichte er den Steinkreis, dessen Mitte vom Blut der Opfertiere getränkt war. Es roch nach verbranntem Fleisch, und hier und da zuckten noch kleine Feuer.
    Er kniete sich in den Kreis, bemerkte nicht, wie glimmende Asche sich durch den Stoff der Hose brannte, und hob sein Gesicht.
    »Haidar, die Opferzeit ist vorüber, und ich habe dir nichts dargebracht, aber bitte, höre mich dennoch an! Wir haben gerade erst den Hof bezogen, der halb verfallen ist und für den ich noch beim Landherrn diene. Dana hatte dir einen Kuchen gebacken, mit den saftigsten Beeren, und ich habe einen Hasen erlegt, um ihn dir zu bringen. Doch ...« Er verstummte und suchte nach Worten. »Verzeih mir! Ich bin kein guter Redner und auch in Eile. Schon letzte Nacht setzten bei Dana die Wehen ein. Eine Mehrlingsgeburt sollte es werden, und es war noch viel zu früh. Ich musste der Kräuterfrau den Hasen als Entgelt versprechen, und vom Kuchen hat sie auch gegessen, als es über den ganzen Tag ging. Aber jetzt ...« Erneut versagte ihm die Stimme. Als er sie wieder erhob, klang sie heiser vor Qual. »Nichts regt sich, es kommen keine Wehen mehr, und Dana ist längst zu schwach, um noch zu kämpfen. Sie wird sterben und mit ihr unsere ungeborenen Kinder. Haidar, ich flehe dich an: Erbarme dich unser! Erweise uns die Gunst und schenke Leben! In deinem Namen habe ich einst geschworen, meine Familie zu schützen. Doch ohne deine Hilfe kann’s mir nun nicht gelingen. Ich besitze nichts von Wert, das ich dir geben könnte, und biete dir darum mein Leben an. Nimm mich und lass meine Kinder erleben, wie groß die Liebe und die Güte unserer Götter sind!«
    Lange kniete er in der Asche und wartete, ohne recht zu wissen, worauf, und ohne dass etwas geschah. Ein letztes Flämmchen flackerte auf und erlosch. Er stemmte sich hoch, wie ein gichtgeplagter Alter, und machte sich auf den Heimweg. Es war wohl vermessen gewesen, zu glauben, die Götter hätten Zeit, sich um ein einziges Schicksal zu kümmern, noch dazu um ein so unbedeutendes wie das ihre! Er spürte nicht die laue Luft, hörte nicht die trunkenen Gesänge und nahm das muntere Treiben um ihn herum nicht wahr. Gefangen in hoffnungsloser Leere, setzte er einen Fuß vor den anderen. Er sah gerade die Hütte, als ein Schrei die Luft durchschnitt: gellend, hoch und schrill! Sein Schritt beschleunigte sich. Lautes Plärren, atemlos und zornig, ließ sein Herz wild pochen. Konnte es sein? Er öffnete die Pforte nicht, setzte über sie hinweg, ... noch zwei lange Schritte ... Schreie ... Weinen ... die Tür

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