Neobooks - Die Zitadelle der Träume
einige sogar mit Brettern vernagelt. Stände von Händlern waren verlassen. Kein einziges Kind spielte in den Straßen. Noch nicht einmal streunende Hunde oder Katzen waren zu sehen. Die Stadt hätte wie ausgestorben gewirkt, wären nicht die Hordenkrieger gewesen, die von Zeit zu Zeit laut grölend in kleineren Gruppen durch die Straßen streiften.
Auch auf dem Marktplatz zeugten zum Teil eingeknickte Zeltstangen und zerbrochene Auslagentische davon, dass schon lange keine Händler mehr herkamen, um ihren Geschäften nachzugehen. Die kleinen Gatter, in denen üblicherweise Vieh zum Verkauf angeboten wurde, waren verwaist, und Tore klapperten im Wind. Auf einer hölzernen Empore, von der aus sonst die Versteigerungen der Tiere durchgeführt wurden, stand jetzt ein Richtblock und vielleicht zwanzig halb verweste Köpfe steckten auf Spießen gleich daneben. An einem Galgenbaum baumelten sechs ebenfalls schon übel zugerichtete Körper, deren Beine entweder bis auf die Knochen abgenagt waren oder ganz abgerissen unter dem Baum verfaulten. Krähen schwirrten krächzend in großer Zahl um die Hinrichtungsstätte herum.
Die Frauen unterdrückten bei diesem Anblick nur mühsam ihren Brechreiz, versuchten, dem ekligen Gestank der Verwesung dadurch zu entgehen, dass sie den Atem immer möglichst lange anhielten, und schritten noch schneller aus.
»So lebt es sich also unter Camora«, raunte Hylia heiser, kaum dass sie den Markt hinter sich gelassen hatten. »Bis heute habe ich die Berichte aus dem Osten immer für übertrieben gehalten. Jetzt weiß ich es besser. Der Schwarze Fürst bringt tatsächlich nur die Dunkelheit. Mögen die Götter geben, dass wir den Sieg davontragen.«
»Ja, ich …« Ihre Begleiterin blieb plötzlich stehen und schlug die Hand vor den Mund. Nicht weit von ihnen entfernt, in einer Seitengasse hatten mehrere Wölfe einen alten Mann – seiner ausgezehrten und zerlumpten Erscheinung nach zu schließen wohl ein Bettler – auf einen Baum getrieben.
Einige Hordenkrieger standen etwas abseits und hielten sich die Bäuche vor Lachen, weil das bedauernswerte Opfer sehr unglücklich an einem immer lauter knackenden Ast hing und es kaum noch schaffte, die Beine so weit hochzuziehen, dass die Wölfe nicht nach seinen bloßen Füßen schnappen konnten. Der arme Kerl jammerte und flehte in den höchsten Tönen, was die Krieger offenbar immer mehr zum Lachen reizte.
Caitlin machte einen Schritt in die Gasse, wurde aber von Hylia eilends weggezogen. »Bist du verrückt? Das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können, ist Aufmerksamkeit. Du weißt doch gar nicht, wie viele von diesen Ungeheuern sich noch hier herumtreiben.«
»Aber man muss ihm doch helfen«, widersprach die Prinzessin entsetzt und wollte sich losreißen. Doch dann erstarrte sie, denn ein grauenhafter Schrei drang aus der Gasse, Jaulen, ein Knacken und laute Wetten darüber, welcher Wolf wohl das größte Stück ergattern würde.
»Zu spät!« Hylia packte mit bebenden Händen ihre totenbleiche Freundin fester und zog sie fast im Laufschritt hinter sich her.
Die trotz der lauten Anfeuerungsrufe der Krieger noch zu hörenden schrillen Schreie hinter ihnen rissen abrupt ab, und Caitlin schluchzte auf und schlug die Hand vor den Mund. Doch schon unmittelbar danach zuckte sie vor Schreck zusammen, denn Hornstöße hallten durch die Straße und die Einwohner Kambalas stürzten aus ihren Häusern. Türen flogen auf, Männer zwängten sich dabei in ihre Jacken oder schlüpften noch auf einem Bein hüpfend in ihre Stiefel, Frauen hatten oft noch Mehl an den Händen und ihre Schürzen um. Caitlin und Hylia fanden sich unversehens in einem stetig anschwellenden Menschenstrom wieder, der jetzt von Hordenreitern gnadenlos angepeitscht durch die Gassen wogte.
Die Frauen klammerten sich aneinander und eilten in der Masse mit, da ihnen gar nichts anderes übrigblieb. Jede Flucht aus der Menge wäre sofort entdeckt worden. Innerhalb kürzester Zeit versammelten sich alle auf der breiten Straße, die vom Stadttor zum Fürstenhaus führte.
»Was geschieht hier?«, raunte Caitlin unbehaglich ihrer Freundin zu.
Die zuckte nur die Achseln und knetete ihre kalten Hände. Keine von beiden wagte es, einen Nachbarn zu fragen. Um sie herum war es totenstill. In den Mienen der Männer und Frauen spiegelten sich gleichermaßen Angst und Trostlosigkeit. Notgedrungen ergaben sie sich offenbar in ihr Schicksal, wie immer es auch sein sollte.
Etwas wurde gebrüllt,
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