Neobooks - Die Zitadelle der Träume
sich und zwang sich dazu, auch den letzten Schritt zu tun.
Auf den ersten Blick schien die Quelle lediglich ein weiterer, nur sehr viel breiterer Gang zu sein, dessen Ende er nicht sehen konnte. Tropfsteine hingen von der Decke, und ohne dass irgendeine Lichtquelle zu sehen gewesen wäre, war alles in schummriges Grau getaucht. Der Fels schimmerte auch hier weiß, aber die angeblich kristallklare Quelle zu seinen Füßen blubberte trüb vor sich hin. Dem tosenden Geräusch nach zu urteilen, musste sich ihr tiefschwarzes Wasser irgendwo weit im Inneren des Berges in große Tiefen ergießen.
Ratlos sah er sich um. Er hätte nicht einmal sagen können, womit er gerechnet hatte, aber hier war einfach nichts, womit er auch nur das Geringste hätte anfangen können. Erneut verspürte er den Wunsch, sofort wieder zu gehen, und erneut sah er sich um und empfand nahezu Erleichterung dabei, nicht den kleinsten Anhaltspunkt dafür zu finden, dass Salia oder ihr Geist noch hier weilte. So wie er gerade hineingekommen war, konnte sie schließlich auch längst gegangen sein. Sein inneres Frösteln und die immer stärker werdende Furcht versuchte er zu verdrängen, genau wie das Gefühl, beobachtet zu werden.
»Salia?« Selbst in seinen Ohren klang die Hoffnung durch, keine Antwort zu erhalten.
Doch diese Hoffnung wurde nicht erfüllt. »Sieh an, sieh an! Er ist also gekommen, der große Sohn der mächtigen Palema.«
Die Stimme klang dunkel, kalt und irgendwie hohl und schien geradewegs aus dem Wasser zu kommen. »Was willst du? Wiederholen, was deine Mutter getan hat?«
Rhonan atmete durch, nahm sein Schicksal an, wie immer es auch sein sollte, und schüttelte den Kopf. »Dann wäre ich nicht hier drinnen.«
»Warum bist du denn dann gekommen?«
»Das fragst du? Weil du es wolltest! Du hast mir in der Krom-Mine und beim Ketzerjäger Kinian das Leben gerettet, nicht wahr? Ich glaubte daher, du wolltest mich kennenlernen. Warum hättest du dir sonst die Mühe machen sollen?«
Die Wasseroberfläche der Quelle kräuselte sich immer mehr. Er hatte plötzlich das Gefühl, von unzähligen eiskalten, seltsam weichen Händen berührt, eher abgetastet zu werden, und erschauerte leicht.
»Du kennst meinen Namen. Aber kennst du auch die Wahrheit?«
Diesmal nickte er. »Ich denke, schon. Myria hat Tagebuch geführt. Zumindest sich selbst gegenüber war sie wohl ehrlich. Ich soll dir von Dala ausrichten, dass keine von ihnen glücklich geworden ist, und ich soll dir sagen, dass sie ihre Tat zutiefst bedauert.«
Ein wahnsinniges Lachen hallte von den Wänden, ließ ihn erneut erschauern. »Erwartet sie ernsthaft Vergebung, die tüchtige Gelehrte?«
Jetzt schüttelte er wieder den Kopf. »Nein, sie glaubte nicht daran. Ich sollte es dir trotzdem sagen.«
»Erwartest du meine Vergebung?«
»Ich? Wofür? Habe ich dir etwas angetan, wofür ich sie benötigte?«
»Du durftest im Gegensatz zu meinem Sohn erwachsen werden, du durftest leben. Mein Sohn hieß Aaron – nach meinem Vater. Auch er war blond und dir sehr ähnlich, nur hatte er braune Augen. Er wurde keine drei Jahre alt. Ich habe ihm das Genick gebrochen, um ihm die größten Qualen zu ersparen.«
Immer mehr grauschwarzer Rauch stieg aus der Quelle. »Es war ganz leicht, weil er ja noch so klein war. Du hättest das auch getan, nicht wahr?«
Rhonan schluckte unwillkürlich, erwiderte aber: »Ich weiß es nicht. Erst mit dem Tod erlischt die Hoffnung.«
Sie lachte rauh auf. »Aus dir spricht der Krieger, der Sohn seiner Mutter.«
»Nein, aus mir spricht jemand, der schon unzählige Male vor dem Tod stand und immer wieder auf manchmal seltsame Weise gerettet wurde, von Feinden, von Fremden und zweimal sogar von dir.«
»Aaron wäre nicht gerettet worden. Ich bin ja auch noch hier. Im Gegensatz zu mir war er ja nicht unsterblich. Tagelang habe ich gehofft, zumindest Dala würde zurückkommen. Doch niemand kam, um einen kleinen Jungen vor dem Hungertod zu retten. Sag mir jetzt, warum du gekommen bist!«
»Um ein Ende zu machen! Eure weltliche Unsterblichkeit ging verloren, als du dein Siegel zerstörtest. Zumindest habe ich das aus Myrias Bericht geschlossen.«
Er nahm die Siegel aus der Tasche und legte sie neben der Quelle ab. »Die Vernichtung aller dürfte nach meinem Dafürhalten euer endgültiges Ende bedeuten. Gib sie den Göttern zurück! Wir Menschen sind nicht stark genug für ihre Macht, und auch du würdest so endlich deinen Frieden finden.«
Ein
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