Neobooks - Die Zitadelle der Träume
unheimliches Lachen, in dem er allerdings auch Trauer zu hören glaubte, stieg aus dem Wasser, erneut hatte er das Gefühl, von Hunderten von Geisterfingern berührt zu werden, und konnte es nicht vermeiden, sich zu schütteln.
Die Wasseroberfläche kräuselte sich immer mehr, blubberte und brodelte, wurde schließlich zum Wirbel, und der graue Rauch stieg höher auf und formte sich dabei langsam zum durchscheinenden Schattenbild einer Frau.
»Frieden? Wie sollte ich Frieden finden können, wenn der Tod meines unschuldigen Kindes ungesühnt bleibt? Wie sollte ich Frieden finden können, wenn Palemas Nachfahre als König lebt mit der Krone, die meinem Sohn einst zugestanden hätte? Mein Sohn wurde nicht einmal verbrannt. Du lässt dich als Helden feiern, und seine kleine Seele treibt im ewigen Wind, und ausgerechnet du redest zu mir von Frieden?« Tiefes Seufzen folgte der Rede.
Rhonan trat einen Schritt nach vorn und kniff die Augen zusammen. »Redest du von dir oder von deinem Sohn? Trauerst du um ihn oder um dich? Dein Sohn war viel zu jung, um Schuld auf sich zu laden. Gleichgültig, ob er verbrannt wurde oder nicht, er wird seinen Platz in der Sternenhalle eingenommen haben. Aber durch deinen Hass sind Tausende gestorben. Ob die Götter dir das verzeihen, vermag ich nicht zu sagen. Von deinen Schwestern begraben, hast auch du nur noch an Rache gedacht. Wenn du deinen Sohn als Opfer beklagst, denke daran, wie viele Opfer das Wasser deiner Quelle verschlungen hat. Glaubst du, Sterbliche leiden weniger? Hast du in deinen Träumen nie die Mütter der Kriegsopfer oder die Mütter der grausam verwandelten Schattenkrieger weinen hören? Hast du nie an die Jungen gedacht, die ihren Familien entrissen wurden, um zu Bestien geformt zu werden – durch dein Wasser? Haben die nie geweint? Ich bin nicht gekommen, um dir mein Mitleid zu bekunden. Ich bin gekommen, um eurem Treiben ein Ende zu bereiten. Die Menschen haben genug unter den Freveln der Unsterblichen gelitten. Vernichte die Siegel, oder ich versiegele diese Höhle, in der du dann weitere Jahrhunderte an deinen Sohn denken kannst, der sicher schon sehnsüchtig auf dich wartet.«
Er spannte seine Muskeln an, weil er jetzt irgendeine Bestrafung erwartete, aber nur ein weiteres tiefes Seufzen erklang.
»Du solltest mich nicht vorschnell verurteilen, mein junger König! Es war nicht Hass, was dieses Wasser färbte, es waren Kummer und Trauer. Dass meine über den Zeitraum von Jahrhunderten vergossenen Tränen dem Wasser Kraft gaben, ahnte ich nicht. Auch was die Menschen damit anfingen, konnte ich nicht verhindern. Ich habe in den letzten Jahren auch um die Kinder geweint, die in gefühllose Schattenwesen verwandelt wurden, aber was hätte ich tun können? Sag es mir, Neffe! Was hätte ich tun können?«
»Ich kenne deine Macht nicht, aber mir konntest du schließlich auch helfen«, gab er schroff zu bedenken.
»Meine Macht?« Sie lachte freudlos auf. »Schon seit Jahrhunderten verfüge ich nicht mehr über größere Macht. Weil du ein wenig Magie in dir hattest und von meinem Blute warst, konnte ich unsere Seelen verbinden und dadurch deinen Willen stärken. Nicht mehr, Rhonan! Alles andere war dein Verdienst. Aber diese Kinder, die der Hexenmeister mit dem Wasser nährte, besaßen keinerlei Magie. Für sie konnte ich genauso wenig tun wie für meinen eigenen Sohn. Nur dem Kind der Frau, die für mein Leid verantwortlich war, konnte ich helfen. Ich habe mich oft gefragt, ob auch das Teil der Rache meiner Schwester war oder ob die Götter mich nur prüfen wollten. Ausgerechnet dir zu helfen, hat mir mehr Schmerz als Freude bereitet, und trotzdem musste ich es tun. Weil ich bin, was ich war. Ich trug das Siegel der Liebe.«
Er sah längere Zeit auf das durchscheinende Gebilde und verlor jeden Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit. »Verzeih mir meine unbedachten Worte! Ich wünschte, ich könnte ungeschehen machen, was dir angetan wurde. Ich würde alles dafür geben«, brachte er leise hervor.
»Ich weiß, dass du meinst, was du sagst. Ich habe dich oft beobachtet, Rhonan da’Kandar. Ich wollte dich so gern als Feind ansehen, aber ich konnte es nie. Du warst Palemas Sohn, stark, unbeugsam und tapfer wie sie, aber du warst auch ihr Opfer, genau wie Aaron und ich. Du bist nicht wie sie, und auch dein Herz hat kaum einen Platz für Geltungssucht, Hass und Rache. Die weise Dala hat es sicher auch erkannt. Du bist wie unser Vater, den ich über alles geliebt habe.
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