Neobooks - Transalp 5
hinterlassen. Besonders bei Anselm Plank.
Sie sprachen nicht mehr über den Vorfall, schulterten ihre Rucksäcke und steuerten den nächstgelegenen Sportartikelhändler an, um ihre Ausrüstung auf den Stand dessen zu bringen, was sie tausend Höhenmeter weiter oben erwarten könnte.
Das Bayerische Innenministerium würde nichts dagegen haben, hatte Plank für sich beschlossen, dass sie zu den teuersten Marken griffen, die nach seiner Erfahrung im Bereich der Bergausrüstung immer noch die beste Qualität versprachen. Auch wenn sie die Sicherheitsreserven, die solche Ausrüstung bot, weder auf dem weiteren Weg brauchen noch durch ihre Kletterkünste überhaupt abrufen könnten, so fühlte es sich doch besser an, wie Messner beim Alleingang ohne Sauerstoff am Nanga Parbat ausgestattet zu sein.
Nachdem sie den Einkauf auf Kosten des bayerischen Steuerzahlers mit Planks EC-Karte beglichen hatten, gaben sie ihre leichtere Ausrüstung, die sie in Garmisch-Partenkirchen gekauft hatten, in Mayerhofen in ein Hotel zum Waschen und beauftragten den Concierge mit einem ordentlichen Trinkgeld damit, sie nach der Reinigung in zwei Kartons postlagernd nach Belluno in Norditalien zu senden. Plank hatte das sichere Gefühl, dass sie die Route über die Alpen führen würde. Wenn er damit recht hätte, würden sie dort aus den Bergen herauskommen. Und wenn er sich täuschte, war es egal. Dann blieben sie eine Weile in den Zentralalpen. Dort bräuchten sie sowieso eher die schweren Stiefel und das Eisenzeug. Wenn er auch gespannt war, wie sich Stephanie Gärtner in einer Via Ferrata oder an einem ausgesetzten Grat halten würde. Doch die Spannung umschloss auch die Erwartung, wie es ihm in solchen Situationen ergehen würde. Er war in den Bergen aufgewachsen, bis zu seinem fünfundvierzigsten Lebensjahr auch ordentlich geklettert, doch war er danach zum Bergwanderer geworden. Und die Touren, die er in den letzten fünf Jahren gegangen war, ließen sich an beiden Händen abzählen. Die letzten Tage hatten ihm deutlich seine Grenzen aufgezeigt. Wenn Benno Spindler sie tatsächlich über die Alpen locken würde, dann kämen ganz andere Strapazen auf seinen untrainierten alten Körper zu.
Sie nahmen den Linienbus nach Hintertux und bestiegen dort die Anlagen der Zillertaler Bergbahnen, die in den letzten Jahrzehnten den Tuxer Gletscher ähnlich gut erschlossen hatten wie eine Skihalle in Bottrop. Nur lag das ewige Eis ohne Dach unter freiem Himmel, und die Pisten waren größer und steiler. Aber Skifahren konnte man hier ebenfalls 365 Tage pro Jahr. Zumindest so lange, wie die Erderwärmung den Gletscher noch stehen ließ. In ein paar Jahrzehnten wäre es auch damit vorbei. Übrig blieben dann die Betonfundamente und Stahlstreben der Liftanlagen, sofern sie nicht in noch höher gelegene Naturschutzgebiete verlagert würden, in der Hoffnung, der österreichischen Wintersportindustrie ein paar lebensverlängernde Jahre zu gewähren.
Als sie die Fenster der Seilbahn hinaussahen, schauten sie sich so an, als müssten sie gar nicht darüber sprechen. Die Verschandelung der Natur war für den alternden Bergfex genauso offensichtlich wie für die junge Frau, die zum ersten Mal in ihrem Leben über die 3000-Meter-Grenze hinauskam.
Auf der anderen Seite waren sie keine Naturschützer, sondern Verbrecherjäger. Und als solche waren sie an diesem Tag sehr froh, dass sie mit den Gondeln so bequem zum Spannagelhaus aufsteigen konnten. Sie waren sicher, dass sie durch die Abkürzung, die Zillertalbahn, Postbus und Bergbahnen ihnen verschafft hatten, Benno Spindler enger auf die Fersen gerückt waren.
Die Kabinenbahnen Gletscherbus 1 und Gletscherbus 2 brachten sie in Windeseile auf das Tuxer Fernerhaus auf 2660 Metern, von wo sie sogar 130 Höhenmeter absteigen mussten, um zum Spannagelhaus mit der riesigen Schauhöhle darunter zu gelangen. Ihre brandneuen Eispickel, Steigeisen, dazu steigeisenfeste Schuhe und Klettersteigset, die zusammen mit einigen frischen Schichten Funktionsbekleidung in den jetzt deutlich größeren Rucksäcken auf den Einsatz warteten, brauchten sie auf diesem Weg über ewiges Eis noch nicht. Wenigstens die Teleskopstöcke, die sie endlich als professionelle Wandersleute auswiesen, fuhren sie aus.
Als sie das Spannagelhaus betraten, lief ihnen die Frau des Hüttenwirts bereits entgegen. Hinter ihr lief der Wirt mit einer Spiegelreflexkamera.
»Schön, dass ihr da seids!«, rief die junge Frau, und ihr Mann knipste wie
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