Neobooks - Transalp 5
Wanderer. 12 Kilo wog er ab, ob das alte Ding nun die Wahrheit sprach oder nicht. Ist eigentlich nicht viel für eine lange Tour. Und für ein Erbe der Menschheit. Auf seinen schmerzenden Schultern wog das Gewicht dennoch schwer, zu schwer. Dabei hatte er auf den Schlafsack verzichtet und auf manches, was er eigentlich im Inntal erstehen wollte, bevor es hinaufging ins ewige Eis. Doch die Ereignisse von gestern hatten ihm keine Wahl gelassen, er musste weiter, rasch.
Hall im Inntal, 550 Meter, 9.10 Uhr
»Bei allem Respekt, Herr Staatssekretär. Bei Ihrer Salamitaktik verliere ich die Lust zum Weitermachen. Und zwar schon sehr bald. Wir haben da so ein Pärchen der Viking-Jugend auf den Fersen. Ich renne über fremdes Staatsgebiet, habe keine Waffe am Mann. Wenn die Jungnazis noch mehr Leute auf uns angesetzt haben, und davon gehe ich aus, dann geht das ratzfatz, und wir verschwinden in einer Gletscherspalte. Sie können dann zwei Ihrer Spitzenfahnder in 5000 Jahren als Zufallsfund aus dem Gletscher kratzen und im Museum ausstellen. Das ist verantwortungslos, was Sie da machen!« Anselm Plank nahm jetzt kein Blatt mehr vor den Mund. Es war ihm auch egal, dass Stephanie Gärtner neben ihm im Rathauscafé saß. Es war ihm sogar recht. Er würde vielleicht irgendwann Zeugen brauchen, wer ihn in dieses Himmelfahrtskommando geschickt hatte. Und danach sah es ja auch aus. Bock hatte er sowieso keinen mehr auf diesen Trip. Knutschte die Gärtner da mit dem erstbesten kernigen Wanderer herum. Die konnte er abschreiben. Was für ein Schwachsinn, dass er, der alte Depp, sich eingebildet hatte, sie würde sich für ihn interessieren. 30 Jahre Altersunterschied. Die hatte doch anderes und andere im Kopf als ihn. Quod erat demonstrandum. Er ärgerte sich über sich selbst mehr als über seine Begleiterin. Es wäre ihm am liebsten gewesen, Dr. Werner Keil würde jetzt am Telefon die Sache abblasen. Dann könnten sie heim ins Büro. Keine drei Stunden würden sie mit dem Zug nach München brauchen. Mittags würden sie wieder in der Löwengrube sitzen. Dann wären noch drei Wochen mit dieser jungen Frau im Büro zu überstehen. Und dann wäre Plank ein freier Mensch.
Doch vom anderen Ende der Leitung kam eine andere Ansage. »Plank. Mann. Jetzt werden Sie mal nicht senil. Das können Sie tun, wenn die Sache vorbei ist. Es gibt zwei Gründe, warum Sie weitermachen werden. Erstens: Wir brauchen Sie. Nur Sie kommen diesem Spindler nach. Er will ja auch ganz offensichtlich, dass Sie das machen.«
»Schön. Und der zweite Grund?«
»Muss ich den aussprechen, Herr Plank?«
»Ich bitte darum, Herr Staatssekretär.«
»Nun gut, wenns nicht anders geht«, der Staatssekretär verlor gezielt die Contenance, »ich verspreche Ihnen, wir rollen Ihren Werdegang auf. Wir schauen jede Spesenabrechnung an aus den vergangenen 35 Jahren. Jeden Schusswaffengebrauch. Jede Kungelei mit einem V-Mann oder einem Kriminellen. Wir weisen Ihnen ein Dienstvergehen nach dem anderen nach. Was haben Sie gerade? Ihre Dienstwaffe nicht am Mann? Wo ist sie denn? Haben Sie sie im Auto an der Grenze liegen lassen? Mann, wenn die verschwindet, stellen Sie sich das vor, oh, oh, oh! Das reicht ja schon für ein Diszi. Kurz und gut: Wir machen Sie fertig. Schneller, als Sie ›Interne Ermittlung‹ sagen können. Und dann können Sie mit Ihren 65 Jahren den Taxischein machen oder als Spüler gehen.«
»Sie …«, knurrte Plank.
»Ich was?«
Plank knurrte wortlos weiter.
Der Staatssekretär fing sich wieder. »Herr Plank, sind Sie noch da? Lassen Sie uns jetzt die Kindereien bleiben. Das bringt doch nichts. Sie sind der beste Polizist, den wir für den Fall einsetzen können. Und das wissen Sie. Jetzt machen Sie es uns allen doch nicht so schwer.«
»Ich will wissen, was Sache ist. Sonst bleibe ich gleich hier in Österreich und werde Spüler beim nächsten Hüttenwirt. Und meine Dienstwaffe können Sie sich in den …«
»Herr Plank, ich bitte Sie. Das war jetzt vielleicht ein bisschen drastisch von mir mit der Diszi und der Internen Ermittlung. Jetzt mal im Ernst, unter Erwachsenen: Wir haben die Sache im Griff. Meinen Sie, wir lassen Sie beide da vollkommen unbegleitet durch die Berge tapsen? Vertrauen Sie uns. Fangen Sie den Spindler. Nehmen Sie ihm das Buch ab. Ohne Aufsehen. Es ist wichtig. Was glauben Sie, warum wir nicht einfach einen Hubschrauber mit Wärmebildkamera schicken und ihn einfangen? Weil wir die Sache so ruhig wie möglich über die Bühne
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