Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neobooks - Transalp 7

Neobooks - Transalp 7

Titel: Neobooks - Transalp 7 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter , CUS
Vom Netzwerk:
konnte auch er jemanden sehen. Er schob sich näher an die Ritze am Eckpfosten und spähte hinunter. Rabenschwarze Nacht. Da, der nächste Blitz: Unten am Stauwehr sah er zwei Gestalten neben einem Jeep stehen. War das Clara Fürst? Eine der beiden hielt etwas vors Gesicht. Hatten sie ein Nachtsichtgerät? Sie waren also da. Wie hatten sie ihn gefunden? Was hatten sie mit Plank gemacht? Wie viele waren es insgesamt? Hatten sie jemanden an der Kapelle postiert? Eher nein, sonst würden sie nicht von der Straße aus die Kapelle observieren. Sie konnten ja nicht wissen, wo er hinging. Sein Ziel konnte genauso gut das Stauwehr oder der Steg oder das E-Werk sein. Er kritzelte etwas auf einen Zettel, rollte ihn klein zusammen und zog die Überhose aus seinem Rucksack. Dann robbte er sich im hohen, nassen Gras Richtung Kapelle. Beim nächsten Blitz drückte er sich tief in die schwere Erde. Er sprang auf und lief zwanzig Meter Richtung Kapelle, bevor er sich wieder ins Gras warf. Der Blitz musste sie geblendet haben. Vor allem mit Nachtsichtgerät am Auge. Die Sekunden nach dem Blitz sind die dunkelsten. Kurz nach dem nächsten Blitz hatte Spindler die Rückseite der Kapelle erreicht, die zum Berg hinzeigte. Der Donnerhall rollte von einer Seite des Tales zur anderen und kam wieder zurück.
Wenn jemand an der Vorderseite der Kapelle steht, dann kann er mich bei diesem Krach nicht hören,
dachte er sich.
    Hättest du das nur vorher gemacht, bevor du in den komatösen Schlaf gefallen bist.
Er wartete den nächsten Blitz ab. Dann lief er geduckt um die Kapelle herum, bereit, mit der Schulter jeden unaufmerksamen Posten den Hang hinunterzustoßen. Es war niemand da. Jetzt! Er zog den Zettel aus der Tasche, tastete nach dem Schloss der Tür – sie war abgesperrt, wie er vermutet hatte. Es war eines jener Schlösser, die nur mit einem großen, schweren Eisenschlüssel aus Kaiser Franz Josephs Zeiten zu öffnen sind. Er fummelte den Zettel ins Loch und schob an. Na geh schon durch!, bat er inständig. Und wenn es wieder blitzte? Sie würden ihn von weitem sehen wie hingemalt vor der Kapellentür. Besser, er versteckte sich noch mal hinter dem Gemäuer – das war keine Sekunde zu früh. 100.000 Volt durchzuckten die Nacht. Gleich wieder zurück zur Eingangstür: Nun gelang es ihm, den Zettel ins Innere der Kapelle zu befördern. Bis morgen früh, bis die Mesnerin aufsperrte, würde die Botschaft sicher sein. Und bis dahin musste Plank hier sein. Und wenn nicht? Er würde nur ungern seinen Kontakt im Bayerischen Innenministerium anrufen müssen, um Plank wieder aufs rechte Gleis zu setzen.
    Vorsichtig robbte sich Spindler zurück zum Rucksack. Das Gewitter ging langsam in Landregen über. Bleiben wollte er hier nicht mehr. Eine Portion Lederfett hätte seinen Schuhen gutgetan. Er zog den schwarzen Müllsack über den ganzen Rucksack. So fiel das knallige Gelb nicht auf. Es war höchste Zeit, dass er sich etwas Unauffälligeres besorgte. Der Weg, der vor ihm lag, erschien ihm unendlich. Er fühlte sich wie Sisyphos, der den schweren Felsbrocken den Berg hinaufrollt und, einmal oben angekommen, wieder von unten anfangen muss. Es war gut, wieder an der Spitze des Zuges zu marschieren.
    Obere Engalm, 5.15 Uhr
    »Anselm, ich halte es nicht mehr aus.« Stephanie Gärtner rüttelte ihren Partner wach. Das dauerte nicht lange. Auch er hatte nicht tief geschlafen.
    »Stört dich der Gestank?«, murmelte er in die Dunkelheit.
    »Welcher Gestank? Ich rieche schon seit Stunden nichts mehr. Nein, es sind die Geräusche. Diese Viecher da unten im Stall mit ihrem Gebimmel, Gegrunze und Gescheuere.«
    »So ist das auf dem Land. Früher haben die Leute immer über dem Stall geschlafen, weil’s da warm war.«
    »Drum bin ich ja nicht früher auf die Welt gekommen. Ich stehe auf Zentralheizung. Und auch Fußbodenheizung, wenn ich ganz ehrlich bin.«
    »Diese Jugend … nichts mehr gewöhnt.«
    »Außerdem hast du geschnarcht, Anselm.«
    »Lauter, als das Viechzeugs da unten wiedergekäut hat?«
    »Viel lauter. Der Rote von der Sennerin hat dir wohl geschmeckt. Von wegen: kein Alkohol mehr.«
    »Wenn Leute dabei sind.«
    »Die Senner sind doch Leute.«
    »Aber keine Jungnazis.«
    »Hm. Weißt du, was das Schlimmste hier oben ist? Nicht dein Geschnarche und nicht das Bimmeln der Kuhglocken. Das ist alles im Rhythmus. Das Schlimmste sind die Kuhfladen, wenn sie da unten auf den Stallboden klatschen. Das passiert immer dann, wenn ich eingeschlafen bin.

Weitere Kostenlose Bücher