Neobooks - Transalp 8
endlich alles wissen!«, zischte Gärtner.
»Ich auch, meine Beste, ich auch …«, sagte Plank und griff sich ihr Handy, bevor er wieder in einem Nebenraum der Hütte verschwand.
Pisciaduhütte, 19.20 Uhr
Da kommt er. Die Sicht war wieder gut, das Gewitter hatte sich fast so rasch verzogen, wie es gekommen war. Nur um den Felsturm herum hingen noch Wolkenfetzen. Soll ich mein Gewehr zusammenschrauben? Nein, ich lasse ihn herankommen. Das ist sicherer, unauffälliger. Dank des Gewitters war sonst niemand mehr unterwegs, auch die Hüttenterrasse lag verlassen, alle hatten sich ins Innere der Hütte verzogen. Zehn Minuten hast du noch. Das Buch musste im Rucksack sein.
Acht Minuten, sechs, vier, drei, zwei, eine. Er verließ seine Deckung und ging auf seine Zielperson zu. Er hielt dem überraschten Spindler die Pistole direkt ins Gesicht.
Was war das – ohrenbetäubendes Knattern stellte sich über dem Grat ein: Zwei Hubschrauber flogen über das Joch auf die Hochfläche von Pisciadu. Ein Hubschrauber der Bergwacht und ein Hubschrauber der Carabinieri. Ein Bergunfall!
Verdammt. Ich kann ihn trotzdem umlegen. Aber das Buch! Und die Bullen müssen ihn ja schon gesehen haben. Er beschloss, noch zu warten, und verschwand hinter dem Felsen, wo er hergekommen war.
Er sah noch, wie Spindler seine gestreckten Arme in die Höhe spreizte. In der internationalen Sprache der Bergrettung signalisieren die Arme den Buchstaben Y wie »Yes, hier landen!«.
Ein kurzes Stück hinter Spindler setzten die beiden Hubschrauber auf: Aus dem ersten sprangen vier Männer der Bergrettung. Der Notarzt und der Pilot blieben vorerst im Heli. Aus dem anderen Hubschrauber stiegen zwei Carabinieri und ein Mann im Anzug. Das müsste der Staatsanwalt sein. Es musste Tote gegeben haben.
Spindler gestikulierte mit den Armen. Er lief auf die Bergretter zu. Sie redeten ein wenig, Spindler hantierte an seinem Rucksack und zog schließlich die Karte heraus. Die Rotorblätter hatten sich inzwischen beruhigt. Sie gingen zum Rettungsheli, auf dessen flachem Boden er seine Landkarte ausbreiten konnte. Spindler deutete immer in eine Richtung. Wahrscheinlich hatte er den Bergunfall beobachtet und wies den Rettern den Weg. Die stiegen wieder ein, die Rotorblätter beschleunigten – sie starteten Richtung Felsturm. Die Carabinieri waren dageblieben. Spindler rief dem Mann, der wie ein Staatsanwalt aussah, etwas ins Ohr. Langsam verschwand der Lärm in der Tiefe und mit ihm ein gelber Rucksack, den Spindler vor dem Abflug in die offene Seitentür des Bergwachthelis geworfen hatte.
Dann gingen Spindler und seine drei Leibwächter Richtung Hütte, verfolgt von zwei wütenden graublauen Augen.
Boè-Hütte, 19.52 Uhr
Als Anselm Plank nach einer Stunde mit Stephanie Gärtners Smartphone in der Hand wieder in die Stube zurückkam, war der Platz, auf dem sie gesessen hatte, leer. Sie hatte sich wohl in das Matratzenlager zurückgezogen, um sich vom anstrengenden Aufstieg durch das Mittagstal zu erholen. Plank fand, dass das eine gute Idee war, doch noch gab es hier wohl ein Rätsel zu lösen, das ihnen den weiteren Weg wies. Wieder einmal machte er sich mit den Augen auf die Reise durch eine Berghütte, um von Spindler versteckte Hinweise zu suchen. Auf den ersten Blick fand er nichts.
Langsam fragte er sich, ob sie nicht abbrechen und nach Hause gehen sollten. Nach dem, was ihm Koralis eben am Telefon gesagt hatte, waren wohl ein Beutel Brillanten und das Vermächtnis des größten Irren aller Zeiten Benno Spindlers Ziel. Und nicht nur das von Spindler, wie er wusste. Denn nun war ihm klar, wer die beiden in der Tuxer Eishöhle beinahe erfrorenen Jungnazis abgelöst hatte. Die drei Klettermaxen erfüllten alle Voraussetzungen, um mit Sicherheit behaupten zu können: Die waren Undercover-Agenten der anderen Seite, die sich an Gärtners und seine Fersen geheftet hatten, um zu Spindler und seinen Suchergebnissen geführt zu werden. Das musste er Stephanie möglichst bald beibringen. Ihn beschlich ein ungutes Gefühl. Was war passiert, während er telefoniert hatte? Nicht, dass sie schon wieder oben mit diesem Kerl lag. Der könnte ja bereits da sein. Nein, besann er sich, das war unwahrscheinlich, denn dann würde ja Clara auf ihn warten. Es war ja, im Nachhinein betrachtet, allzu auffällig, wie sie sich an ihn herangeschmissen hatte. Und er war wieder voll darauf angesprungen. Auch diese Frau war halb so alt wie er. Höchstens. Was war mit ihm los? Zweiter
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