Schattenkrieger: Roman (German Edition)
Gefährliches Spiel
Der Wind peitschte das Banner des ankernden Kriegsschiffs. Auf den schwarzen Untergrund war mit silbernem Faden ein stilisiertes »M« genäht. Stolz verkündete es, dass dies das Flaggschiff der siegreichen Flotte von Schattenhafen war.
Der Krieg, der die Gewässer des Trigon während der letzten sechs Monate blutrot gefärbt hatte, war vorüber. Zweihundert Meilen im Norden, jenseits des Gebrochenen Meeres, berechnete Dorminia jetzt, wie viel es gekostet hatte, seine Marine gegen die überlegene Feuerkraft der Schiffe aus der Schattenstadt in den Kampf zu schicken.
Tarn beobachtete die Besatzung der Freiheit , die gerade hinab zum Anleger stolzierte, um von der jubelnden Menge in Empfang genommen zu werden. Fröhliches Lachen und atemloses Geplapper erfüllten den Kai. Die Tränen strömten nur so, als Angehörige und Freunde die heimkehrenden Helden begrüßten.
Tarn sah noch einen Augenblick zu, dann drehte er sich um und spuckte ins dunkelblaue Wasser des Hafenbeckens. Der Klecks blieb noch einen Moment sichtbar, ehe er sich im kabbeligen Wasser auflöste. Eine Frau, die gerade vorbeikam, um die von Bord gehenden Soldaten zu begrüßen, warf ihm einen giftigen Blick zu.
Als die Feindseligkeiten mit Dorminia ausgebrochen waren, hätte er eigentlich zu den Ersten zählen sollen, die mit einem Kriegsschiff ausliefen, doch sein lahmes Bein hatte dies verhindert. Auf dem Gebrochenen Meer und auch anderswo wäre er nur nutzloser Ballast gewesen. Ein schwerer Anker, der alles hinabzog, was an ihm hing.
Unwillkürlich betrachtete er seine Hände. Verschorfte Wunden und Prellungen starrten ihn an. Schuldgefühle wallten empor wie ein ausbrechender Geysir. Er musste mit Sara sprechen und ihr erklären, wie leid es ihm tat.
Niedergeschlagen humpelte Tarn langsam nach Hause.
Um den Sieg der Stadt im Krieg um die Himmelsinseln weit im Westen des Unendlichen Meeres zu feiern, hatte Lord Marius per Erlass verfügt, dass drei Tage lang jegliche Arbeit ruhen sollte. Nun eilten die Müßiggänger durch die langen Schatten der untergehenden Sonne. So spät am Tag war sie nur noch ein roter Halbkreis, der langsam in den Wellen des Gebrochenen Meeres versank.
Als er durch das Häusergewirr hinter dem Hafen wanderte, erwachte Tarns Zorn. Marius’ Dekadenz war unbeschreiblich, und seine fleischlichen Gelüste beinahe sprichwörtlich. Wie der Tyrann von Dorminia und die geheimnisvolle Weiße Lady von Thelassa im Osten war auch Marius ein Magierfürst, ein unsterblicher Zauberer, der über gigantische Kräfte verfügte und das Zeitalter des Untergangs heraufbeschworen hatte.
Ein verdammter Gottesmörder.
Immer mehr Menschen strömten zum Hafen. Unter ihnen waren viele leicht bekleidete Dirnen, die in Wolken billigen Duftwassers einherschritten und vorhatten, den anlandenden Soldaten den Sold aus der Tasche zu ziehen.
Eine, die glaubte, den ersten Kunden erspäht zu haben, blieb vor Tarn stehen, warf sich in die Brust und strahlte ihn an. Sie hatte schiefe Zähne, aber lebhafte blaue Augen. Das graubraune Haar umrahmte ein Gesicht, das man beinahe hübsch nennen mochte.
»Bist du durstig, mein Lieber? Ich habe einen Becher, der dir ganz gewiss gut munden wird.« Einladend strich sie sich mit den Händen über die Oberschenkel und schaffte es, gleichzeitig den Rocksaum zu heben. Ihre Beine waren bleich wie der Weißkäse, den Schattenhafen bis nach Thelassa und darüber hinaus an die ganze Küste des Gebrochenen Meeres lieferte, und voller blauer Flecken. Der Anblick weckte unangenehme Erinnerungen.
Tarn räusperte sich. »Hab keine Lust. Zu Hause wartet meine Frau auf mich.« Er deutete auf den schlichten Ehering, den er am Finger trug. Das billige silberne Ding war ein wenig schartig.
Die Dirne gab einen enttäuschten Laut von sich und wollte ihm damit wohl schmeicheln, doch die Lüge war viel zu offensichtlich, als sie den Blick über sein gerötetes Gesicht, das schüttere Haar und den Schmerbauch wandern ließ.
»Vielleicht kann ich dir anlässlich der Feiertage einen guten Preis machen. Was deine Frau nicht weiß, das macht sie nicht heiß, nicht wahr?« Freilich verriet die Stimme der Dirne, dass sie bereits das Interesse an ihm verlor, als hätte sie sich für den mageren Lohn, der von ihm zu erwarten war, schon mehr als genug ins Zeug gelegt. Diese Annahme erzürnte Tarn, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie der Wahrheit entsprach.
»Weißt du, wie es sich anfühlt, geliebt zu werden?
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