Neongrüne Angst (German Edition)
könnten, aber Johanna war nicht in der Lage hinzusehen. Sie versuchte, sich auf ihre Finger zu konzentrieren oder wenigstens auf ihre Knie zu starren und auf keinen Fall nach draußen zu gucken, nicht nach unten und nicht nach oben.
Von wegen, ich kann von da aus sehen, wer mich beobachtet, weil ich da über allem schwebe …
Die Frau neben ihr krallte sich in Johannas Arm. »Oh mein Gott, oh mein Gott!«
Jetzt riskierte Johanna doch einen Blick nach vorn. Der Wagen erreichte den höchsten Punkt. Es sah aus, als wäre von dort nur noch der Absturz ins Nichts möglich. Und genauso fühlte sich für sie an, was dann geschah.
Ihr eigener Schrei tat ihr weh in den Ohren, aber sie konnte nicht aufhören zu kreischen. Sie schrie gegen ihre eigene Angst an, während sie nach unten raste.
Ihre Hände krampften sich in den Sicherheitsbügel, und sie drückte sich mit Beinen und Armen fest nach hinten, so dass der Sitz im Rücken schmerzte.
Dann ging alles in die Schräglage über, und sie hatte das Gefühl herauszufallen, während die Dame neben ihr sie mit ihrem Körpergewicht gegen die Tür presste.
Die Jungs brüllten nicht mehr »Jetzt geht’s los! Jetzt geht’s los!«, sondern sie jubelten, als hätten sie gerade im Lotto gewonnen und könnten ihr Glück noch nicht fassen.
Jetzt ging es wieder bergauf. Johanna konnte ihre inneren Organe spüren. Sie kribbelten und waren irgendwie nicht mehr am richtigen Ort, sondern durcheinandergeraten. Der Magen schien in der Lunge zu hängen, die Leber war verrutscht, und es kam ihr so vor, als hätten sich Teile ihres Gehirns durch die Ohren verabschiedet.
Sie konnte den Brechreiz kaum unterdrücken. Ein fiebriges Gefühl von Aussichtslosigkeit machte sich in ihr breit und die Angst, einen Herzinfarkt zu bekommen.
Wenn sie unten die Sicherheitsbügel lösen, dachte sie, bin ich tot.
War es das dann? Hab ich dafür so viel gepaukt und gesund gelebt, um eine Scheiß-Achterbahnfahrt nicht zu überstehen?
Da war plötzlich ein Kribbeln in den Händen, in den Füßen, schließlich in den Lippen, dann im ganzen Gesicht, als würden unter ihrer Haut winzige Käfer herumkrabbeln. Ihr Herz raste. Sie hatte Schluckbeschwerden und fürchtete, am eigenen Speichel zu ersticken. Da war ein Würgegefühl, aber es kam nichts heraus.
Vom Rest der Fahrt bekam sie kaum noch etwas mit. Es war, als würde der Brustkorb zu eng werden, und sie bekam keine Luft mehr, obwohl sie heftig atmete.
Die Dame neben ihr kam nicht aus dem Wagen, weil Johannas Körper den Ausgang versperrte und den Sicherungsbügel unten hielt.
Sie rief die jungen Männer zu Hilfe. Drei von ihnen waren sofort bereit, den Helden zu spielen und der schönen jungen Frau zu helfen.
Sie hoben Johanna aus dem Wagen. Sie verkrampfte sich merkwürdig, japste und trat einem unabsichtlich ins Gesicht. Er hatte im Boxclub gelernt, härtere Schläge einzustecken, und lachte: »Das ist ja ein wildes Fohlen!«
Johanna glaubte, jeden Moment ohnmächtig zu werden. Die Welt um sie herum trudelte. Sie nahm alles nur noch verschwommen wahr. Die Hände, die sie anfassten, empfand sie überhaupt nicht als hilfsbereit, sondern sie waren ihr unangenehm.
»Ich geb dir gleich Fohlen! Lass sie los, Cowboy!«, rief Leon angriffslustig und schob die Möchtegernretter von seiner Freundin weg. Er beugte sich über sie und fragte sich verzweifelt, was er tun sollte.
Er rief ihren Namen: »Johanna! Johanna! Was ist denn?«
Sie atmete mit den Brustmuskeln, statt mit dem Zwerchfell. Sie sog die Luft schneller und tiefer ein, als gut für sie sein konnte, das sah er wohl. Aber was sollte er machen?
In dem Moment kniete jemand neben ihm. Es war Pit Seidel von der Edith-Stein-Schule.
»Ich hab einen Sanitäterkurs beim Roten Kreuz gemacht. Sie hyperventiliert. Ganz ruhig, Johanna, ganz ruhig. Dir wird nichts passieren. Das ist sehr unangenehm, aber es wird dir nichts geschehen. In ein paar Minuten ist alles vorbei.«
»Ich … ich werde ohnmächtig«, hauchte Johanna.
»Ja, das falsche Atmen bewirkt, dass du zu viel Sauerstoff ein- und zu viel Kohlendioxid ausatmest. Dadurch kommt es zu einer Übersäuerung des Blutes. Außerdem werden die Muskeln zwischen den Rippen überdehnt. Gleich ist alles vorbei. Versuch, in den Bauch zu atmen.«
Ihre Hände verkrampften sich zu Pfötchen.
»Ich brauche eine Tüte!«, rief Pit. »Eine Tüte! Schnell!«
Endlich konnte Leon helfen. Er war so froh, dass Pit wusste, was zu tun war.
Er griff sich
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