Auschwitz - Taeter, Gehilfen, Opfer und was aus ihnen wurde: Ein Personenlexikon
Vorwort
Nachdem die Selektion an der Rampe überstanden ist, fragen die zunächst Überlebenden nach dem Verbleib der von ihnen getrennten Eltern und Kindern. Die Kapos zeigen auf den Rauch, der aus den Schornsteinen der Krematorien aufsteigt. Augenzeugin Simone Veil: »Doch wir begriffen nicht; wir konnten das nicht begreifen. Was sich in wenigen Metern Entfernung von uns abspielte, war derart unfaßbar, daß es unser Vorstellungsvermögen überstieg.«
Auschwitz war, so Lagerkommandant Höß, »die größte Menschen-Vernichtungs-Anlage aller Zeiten«. Bis zu 10000 Menschen werden zuletzt an einem einzigen Tag auswaggoniert, selektiert und in den Gaskammern qualvoll erstickt. Der Überlebende Primo Levi wird später beklagen, »daß unsere Sprache keine Worte hat«, Auschwitz zu beschreiben.
Die Stadt Oswiecim (Auschwitz), 30 km von Kattowitz und 50 km von Krakau entfernt, hatte 1939 etwa 12000 Einwohner. Das Stammlager, eine ehemalige polnische Artilleriekaserne, wird ab April 1940 ausgebaut und die polnische Bevölkerung der angrenzenden Orte »ausgesiedelt«. Die ersten 700 Häftlinge erreichen Auschwitz am 14. Juni 1940. 18000 Menschen werden hier Ende 1941 vegetieren. Im Oktober 1941 beginnt der Bau des 3 km entfernten Lagers Birkenau, das 1943 etwa 100000 Häftlinge einschließt.
In Auschwitz sind 1941 etwa 700 SS-Angehörige. Der Höchststand wird am 15. Januar 1945 erreicht: 4415 SS-Männer und 72 SS-Aufseherinnen. Insgesamt, rechnet man den Austausch von Personen ein, sollen es etwa 7000 SS-Männer und 200 SS-Aufseherinnen gewesen sein. Sie alle haben, gleich welche Funktion sie hatten, die Mordmaschine in Gang gehalten. Der Dienstrang spielt dabei keine Rolle, wie wir aus Häftlingsschilderungen wissen.
Ich habe Kazimierz Smolen, Häftling ab Juli 1940 und später Direktor des Staatlichen Museums Auschwitz, einmal gefragt, ob es den »anständigen« SS-Mann tatsächlich gegeben habe. »Ja«, sagte er, »zu mir.« Gemeint ist, daß SS-Angehörige im Einzelfall, wenn man aufeinander angewiesen war, sich durchaus korrekt verhalten konnten, aber ansonsten genau so mörderisch vorgingen wie die anderen. Am krassesten wird dies in den Aussagen der jüdischen Schreibfräulein des Folterspezialisten Boger deutlich: Sie wurden von ihm fürsorglich behandelt.
Der umfangreichste Versuch, die Massenvernichtung juristisch aufzuarbeiten, ist zweifellos der Auschwitz-Prozess vor dem LG Frankfurt am Main. Er dauerte vom 20. Dezember 1963 bis zum 20. August 1965. Nicht zu übersehen ist, daß im Frankfurter Urteil Aussagen von Häftlingszeugen reihenweise mit dem Verdikt »nicht glaubwürdig« abqualifiziert wurden. Abstruse Behauptungen von Tätern dagegen wurden akzeptiert. So behauptete zum Beispiel KZ-Zahnart Schatz, er sei zwar zur Selektion auf der Rampe eingeteilt gewesen, habe dort aber nur herumgestanden. Er wurde freigesprochen.
In Auschwitz werden Männer, Frauen und Kinder unter strengster Geheimhaltung erschossen. Nackt schleppt man sie zur Erschießungswand. Manchen der ermordeten Frauen werden anschließend Schenkel-, Bauchfleisch und Brüste herausgeschnitten. Das Fleisch wird im Hygiene-Institut der Waffen-SS als Nährböden für Bakterienzuchten zu einer Brühe verkocht – Menschenbouillon genannt.
Im Auschwitz-Urteil wird unterschieden zwischen unrechtmäßig und vielleicht rechtmäßig Erschossenen. Das Gericht urteilt auf Seite 869 über den Angeklagten Kaduk:
»Aus den Aussagen der Zeugen ergibt sich jedoch nicht, welche Personengruppen an der Schwarzen Wand getötet worden sind und welches der Grund für ihre Erschießung war. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß es sich um Zivilisten gehandelt hat, die auf Grund von Stand- oder Sondergerichtsurteilen zur Erschießung in das Lager Auschwitz eingeliefert worden waren. Da nähere Umstände nicht bekannt sind, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, daß die Erschießungen rechtswidrig waren.«
Gleichwohl bleibt das Verdienst, Aussagen der Opfer wie der Täter gesichert und ihren Verbleib nach 1945 zumindest teilweise ermittelt zu haben. Dies war objektiv nicht einfach, da es in Auschwitz keine Namen gab. Die Gefangenen wurden mit ihrer Häftlingsnummer angesprochen und die Bewacher mit dem SS-Rang. Wer als Angehöriger des SS-Totenkopf-Sturmbann KL Auschwitz mordete, blieb meist anonym.
Die Vergangenheitsbewältigung läuft unter dem Motto Versöhnung. In der Praxis haben sich die Opfer versöhnlich zu zeigen.
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