Neptuns Tochter 1
Mika hatte doch mitbekommen, wie sehr ihr die ganze Sache zu schaffen machte. Was auch immer diese Sache war. Wenn Mika es bloß wüsste.
»Geht es Ihnen heute besser?«, fragte der Busfahrer, als Mika ihm ihren Fahrschein zeigte.
»Ja, danke«, antwortete Mika immer noch in Gedanken. Sie setzte sich in die erste Reihe.
Anstatt loszufahren, drehte sich der Fahrer um. »Sie sehen mir aber nicht so aus«, meinte er. Das leise Grummeln der anderen Fahrgäste ignorierte er.
»Ach, es kann nur sein, dass ich demnächst großen Ärger bekomme«, gab Mika zu.
»Haben Sie was angestellt?«, war sofort die nächste Frage.
»Ja«, sagte Mika. »Aber das kann ich wieder geradebiegen.« Sie grinste den Busfahrer schief an. »Das Problem ist eher das, was ich zu diesem Zweck anstellen muss.«
Mika wusste, dass sie etwas unternehmen musste, damit Gernot Hampf sie nicht in der Hand hatte. Die einzige Lösung, die ihr im Augenblick einfiel, war ihr Vater. Aber genau den wollte sie nicht um Hilfe bitten. Das würde bedeuten, dass sie zu Kreuze kriechen müsste. Die verlorene Tochter müsste in den Schoß der Familie zurückkehren. Mit allen Konsequenzen. Mika lief es kalt den Rücken hinunter. Sie hörte schon das selbstzufriedene Grunzen ihres Vaters: »Hab ich dir nicht gesagt, dass du allein nicht klarkommst? Von wegen, du brauchst mein Geld nicht.«
So oder so ähnlich würde er sich ausdrücken. Adam David hätte gewonnen, und er würde das seine Tochter spüren lassen. Für jeden Cent, mit dem er sie aus ihrem Problem freikaufte, würde sie büßen müssen. Sie müsste ihre Freiheit aufgeben. In jedem Fall. Wenn sie nichts unternehmen würde, wartete unter Umständen das Gefängnis. Im anderen Fall – auch. Nur da würde sie nicht auf Staatskosten leben. Das Urteil wäre dann aber lebenslänglich.
Es muss eine andere Lösung geben, redete sich Mika ein. Ob sie einfach abhauen sollte? Weit weg aus Gernot Hampfs Dunstkreis? Dann bist du aus dem Schneider, Mika. Toll. Und was ist mit Timea? Sie wäre diesem Verbrecher weiterhin ausgeliefert. Das hieß, Mika musste etwas gegen ihren Ex-Chef unternehmen. Aber was? Da fiel ihr wieder ihr Vater ein. Er hätte die Macht.
Bevor Mika allerdings mit ihrem Erzeuger redete, müsste sie wissen, worum es bei Timeas Problem ging.
Mika spürte, dass sich ihre Mundwinkel hoben. Sie könnte auch mit ihrer Mutter reden. Dem einzigen Menschen, der sich gegen Adam David durchsetzen konnte.
Sie sah ihre Mutter vor sich. Wie sie sich mit ihren knapp einsfünfundsechzig vor ihrem Mann aufbaute und ihm die Leviten las. Wie dieser Baum eines Mannes kuschte. Das waren immer die Highlights ihrer Kindheit gewesen. Mikas Mutter schwieg lange, war stets an und auf der Seite ihres Mannes. Meistens hatte Mika auch allein gegen ihren Vater kämpfen müssen. Und trotzdem wies ihre Mutter ihn manchmal in seine Schranken. Wenn er wieder einmal weit übers Ziel hinausgeschossen war und Mika darunter leiden musste. Und dann gab ihr Vater auch nach.
Wenn sie also ihre Mutter auf ihre Seite brächte, dann käme Mika aus der Nummer unbeschadet heraus. Und wenn sie in den letzten Jahren etwas gelernt hatte, dann andere von etwas zu überzeugen. Mika war stolz auf sich, weil sie noch etwas anderes gelernt hatte – nämlich auch einen Plan B zu haben. Wobei sie den eben gefassten eher als Plan Bäh bezeichnete, aber sie hatte wenigstens einen.
~*~*~*~
I hr Vorhaben, mit Timea zu sprechen, konnte Mika am nächsten Morgen leider nicht in die Tat umsetzen. Timea war nicht da.
Auf Mikas Schreibtisch lag ein Zettel. »Bin den ganzen Tag außer Haus, T«, stand darauf.
Es war das erste Mal, dass sie Timeas Schrift sah. Dieser Satz wirkte, als hätte es die Schreiberin eilig gehabt. Sie hatte sich nicht mit irgendwelchen Schleifen aufgehalten. Nichts Verspieltes war darin zu sehen, wie es bei Mika der Fall gewesen wäre.
Ganz sachte zeichnete Mika mit den Fingerspitzen jeden einzelnen Buchstaben nach. Sie wollte sich vorstellen, wie sich Timeas Hand bewegt hatte, als sie das geschrieben hatte. Beim T verharrte Mika eine zeitlang, schloss die Augen, sah die Frau, die sich hinter diesem Buchstaben verbarg. Die Frau, die das geschrieben hatte, und die sie heute bestimmt nicht zu Gesicht bekommen würde. Seufzend machte sich Mika an die Arbeit. Es war eindeutig, dass Timea ihr aus dem Weg ging. Weil sie dachte, dass Mika ein bisschen für sie schwärmte.
Mika fasste nach dem Bildschirm des Laptops und
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