Neptuns Tochter 1
Mika. »Wo wäre ich denn gelandet, wenn Sie mich nicht aufgehalten hätten?«, fragte sie dem abfahrenden Bus hinterher.
»Am Bahnhof«, kam die sofortige Antwort.
Wie passend. Wo sie in letzter Zeit nur selbigen verstand.
Ihr Gegenüber schüttelte den Kopf. »Irgendwie sind Sie heute nicht so wie sonst.«
Mika hob nur die Schultern. Was sollte sie darauf erwidern?
Ohne weitere Zwischenfälle kam Mika am Ende doch bei der Illayschen Villa an.
Das Innere wirkte verwaist.
Einmal tief durchgeatmet und Mika ging ins Kaminzimmer. Als sie den Raum betrat, setzte ihr Herz einen Schlag aus. Im Kamin brannte ein kleines Feuer. Auf dem Beistelltisch stand eine Thermoskanne mit Kaffee, davor war ein Teller mit den Plätzchen, die sie gern aß. »Ich habe am Vormittag Termine«, las Mika laut vor, als sie den Zettel hochhob, der auf dem Tisch lag. Wahrscheinlich war es Wunschdenken, aber sie bildete sich ein, dass die Schrift heute weicher wirkte.
»Klar doch«, schimpfte Mika mit sich. »Komm endlich mal runter. Sie hat ein schlechtes Gewissen. Sonst nichts.« Tränen traten in ihre Augen. Langsam verlor Mika die Nerven. Sie liebte Timea, und das brachte sie zur Verzweiflung.
Trotzdem schaffte es Mika, sich auf ihre eigentliche Aufgabe zu konzentrieren. Seltsamerweise arbeiteten Adrienn und sie schon seit drei Monaten zusammen und waren über die fünfziger Jahre noch nicht hinausgekommen. Wie wollte ihre Chefin es bis zum Ende des Arbeitsvertrages schaffen, die restlichen sechzig Jahre zu erzählen? Bei dem Arbeitstempo würde sie eher noch zwei Jahre brauchen. Aber gut, das sollte nicht Mikas Problem sein.
Sie seufzte. Ihr Problem kam gerade nach Hause. Mit klopfendem Herzen wartete sie, ob Timea sie begrüßen würde. Nichts. Anhand der Geräusche erkannte sie, dass Timea direkt in ihr Büro ging.
Mika starrte in das Kaminfeuer. Wieso machte sie sich immer wieder Hoffnungen? Eine kleine, freundliche Geste von Timea Illay, und Mikas Gefühlswelt geriet sofort aus den Fugen. Das hatte doch alles keinen Sinn. Adrienn würde sowieso nicht fertig werden. Daher müsste Mika keine Rücksicht nehmen. Sie könnte auf der Stelle kündigen. Sollte Frau Schneider das Arbeitslosengeld ruhig kürzen; sofern sie das überhaupt durfte. Mika könnte aufstehen und dieses Haus hocherhobenen Hauptes verlassen. Könnte. Aber sie blieb auf ihrem Stuhl sitzen wie festgeklebt.
»Mika? Was hast du?«
»Gott Timea, hast du mich erschreckt«, stammelte Mika.
»Ich habe dreimal geklopft, aber du hast nicht reagiert«, sagte Timea. »Stattdessen sitzt du hier und starrst Löcher in die Luft.«
Noch immer raste Mikas Puls wie eine Nähmaschine. Im Gegensatz dazu hob und senkte sich ihr Brustkorb wie das wogende Meer. Sie wollte Timea fragen, was es gab.
Keinen Ton brachte Mika heraus, als sie sah, dass Timea wie zur Salzsäule erstarrt in der Tür stand.
Sogar aus der Entfernung konnte Mika das Glitzern in den braunen Augen erkennen. Sie spürte den verlangenden Blick genau. Er fühlte sich wie Streicheln an. Sofort reagierte ihr Körper darauf. Sehnsuchtsvolles Ziehen im Unterleib. Ihre Brustwarzen rieben immer stärker am Stoff des BHs. Alles in ihr schrie nach Timea, nach ihren Berührungen.
Mika stöhnte unterdrückt auf. Das war keine Einbildung. Timea fühlte dasselbe. Jetzt. In diesem Moment.
»Ich . . .«, Timea räusperte sich. Trotzdem war ihre Stimme rau. »Ich bekomme nachher Besuch.«
So schnell wie Timea brachte Mika sich nicht unter Kontrolle. Weder ihren Herzschlag noch ihren Atem.
»Gernot Hampf will etwas mit mir besprechen«, fuhr Timea fort.
Das war wie eine eiskalte Dusche. »Und warum erzählst du mir das?«, fragte Mika heiser.
»Nun . . .« Timea suchte offenbar nach den richtigen Worten. »Es wäre mir lieb, wenn du . . . also sieh zu, dass du uns nicht störst.«
Es gab sie, die Steigerung einer eiskalten Dusche. So musste sich Schwimmen im Gletscherwasser anfühlen. »Aber klar doch, Frau Illay. Wie Sie wünschen.«
»Jetzt hör auf, die Beleidigte zu spielen«, sagte Timea. Noch klang sie gelassen. Die zusammengekniffenen Augenbrauen sprachen jedoch eine andere Sprache. Ihre Anspannung war deutlich zu spüren.
»Sorry«, lenkte Mika rasch ein. »Ich habe hier sowieso noch Einiges zu tun. Du musst dir also keine Sorgen machen.« Wenn dieser Idiot hier antanzte, brauchte Timea vielleicht Mikas Hilfe. Vorwürfe waren genau das Gegenteil davon.
~*~*~*~
M ika wollte nicht lauschen. Wirklich
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