Neptuns Tochter (Gesamtausgabe)
Mika.
»Haben Sie Probleme?«, fragte Adrienn besorgt. »Wollen Sie darüber reden?«
Der Gedanke war spaßig. Wie Adrienn wohl reagieren würde, wenn Mika ihr den Grund für ihre geistige Abwesenheit verriet? »Ach, es ist eigentlich nichts«, könnte sie anfangen. »Ich hab’ mich nur in Ihre Enkelin verliebt. Sonst ist alles bestens«, würde sie fortfahren.
Der Schreck fuhr Mika in alle Glieder. Hatte sie das wirklich gedacht? War es wahr?
Von wegen, Papa , dachte Mika bitter, ich würde immer den leichtesten Weg gehen. Sich in diese Frau zu verlieben, war wohl eher genau das Gegenteil.
Mika bekam Fluchtgedanken.
Da öffnete sich die Tür und Timea Illay kam herein – der Fluchtweg war versperrt.
Sofort schaute Mika auf den Monitor vor sich. Hoffentlich hatte Timea nichts bemerkt, betete sie im Stillen.
»Ich hoffe, ich störe nicht«, sagte Timea Illay höflich.
Mika schüttelte in abgehackten Bewegungen den Kopf.
»Selbstverständlich nicht«, antwortete Adrienn ruhig. Aus den Augenwinkeln sah Mika, wie Adrienn ihrer Enkelin eine Wange zur Begrüßung hinhielt. »Wieso bist du schon hier?«, fragte sie noch.
»Ein Termin ist kurzfristig ausgefallen«, gab Timea knapp Auskunft.
Die feinen Härchen in Mikas Nacken stellten sich auf. Timea Illay schaute sie an, das spürte Mika genau.
»Wenn es in Ordnung ist, bleibe ich hier«, sagte Timea.
Ohne auf eine Zustimmung zu warten, setzte sie sich in einen der freien Sessel. Entspannt lehnte sie sich zurück, schlug die Beine übereinander und wartete, bis ihr Petra Lorentz eine Kanne mit dampfendem Tee hinstellte, die Tasse füllte und wieder verschwand.
»Können wir weitermachen, Mika?«, fragte Adrienn.
Timea Illay hob die Brauen. Das konnte Mika sehen, obwohl ihr Gesicht auf die Tastatur gerichtet war. Halb nur. Gerade so weit, dass sie noch einen kleinen Ausschnitt vom Bild Timea Illay erhaschen konnte. Oh Gott, was war sie an diesem Tag poetisch.
»Mika?«, fragte Adrienn noch einmal. Diesmal lauter.
Erschrocken richtete sich Mika auf. »Natürlich … Entschuldigung«, nuschelte sie.
»Wo waren wir stehengeblieben?«, erkundigte sich Adrienn.
Timea Illay war offenbar keine Süße, stellte Mika fest. Sie trank den Tee einfach so, ohne Zucker. Bei Mika müssten mindestens drei Stück hinein. Außerdem müsste es Kaffee sein, nicht Tee.
Mika räusperte sich. »Wir waren gerade bei Ihrer Fahrt von Budapest nach Wien«, beantwortete sie rasch Adrienns Frage.
Die strich mit den Händen an den Lehnen ihres Stuhls auf und ab. Es sah aus, als würde sie sie zu einer Melodie bewegen, die nur sie selbst hörte. Adrienn lächelte. »Ich habe es mir überlegt«, sagte sie. »Ich würde lieber über die Liebe meines Lebens sprechen.«
Mit einem lauten Geräusch stellte Timea Illay die Tasse auf den Untersetzer. Ihre Lippen waren wieder einmal nur ein dünner Strich, der Körper wirkte erstarrt. »Wenn du hier eine schmalzige Liebesgeschichte loswerden willst – wie es damals so zwischen dir und Großvater war – dann geh ich lieber.« Sprach es und stand auf.
Adrienn hob leicht die Hand. Damit stoppte sie den Aufbruch ihrer Enkeltochter und brachte sie dazu, sich wieder zu setzen. »Ich würde dich bitten zu bleiben, Schatz«, sagte sie ruhig. »Ich will nicht über Großvater reden, sondern über Janosch.«
So sah es also aus, wenn Timea Illay der Mund offen stehenblieb. Das war das erste Mal, dass Mika sie verwirrt sah. Ihr Tag war gerettet. Timea Illay hatte ihre Meisterin gefunden. Grinsend legte Mika die Hände, wie sie es im Schreibkurs gelernt hatte, auf die Tastatur. »Von mir aus können wir«, ließ sie ihre Chefin wissen.
»Also«, begann Adrienn, »Janosch war einer der jungen Männer, die beim Wiederaufbau unseres Hauses in Budapest mitgearbeitet haben. Vom ersten Augenblick an waren wir einander verfallen.«
Adrienn schien weit in der Vergangenheit versunken. So abgetaucht wie jetzt war sie die letzten Wochen noch nie in ihrer Geschichte gewesen. Mika hatte Mühe, sich von diesem Leuchten in dem faltigen Gesicht zu lösen und sich auf das Schreiben zu konzentrieren. Nur kurz drehte sie den Kopf zu Timea Illay.
Mika blieb fast das Herz stehen.
Timea Illay sah ihre Großmutter mit einer Liebe an, die Mika beinahe die Tränen in die Augen trieb.
Ihr Herz schlug weiter. Und mit jedem Schlag breitete das Blut warme und prickelnde Wellen in ihrem Körper aus.
In diesem Moment richtete Timea Illay ihre Aufmerksamkeit auf
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