Neptuns Tochter (Gesamtausgabe)
sie sich unter die Sprinkleranlage zurückversetzt, die Mika in Gang gesetzt hatte.
Wie paralysiert war Timea stehengeblieben, als wie aus heiterem Himmel dieser fürchterliche Alarm losgegangen war. Fast zeitgleich hatten sich über ihr die Schleusen geöffnet.
Am liebsten hätte sie diese junge Frau erwürgt. Wie sie da stand, mit nach unten geklappter Kinnlade, ein lüsternes Leuchten in den Augen.
Und Timea selbst?
Wenn sie heute jemand fragen würde, warum sich ihre Brustwarzen so deutlich abgezeichnet hatten – sie würde steif und fest behaupten, dass es am kalten Wasser gelegen hatte. Bestimmt nicht an den Blicken dieser Nymphe mit den meergrünen Augen und dem aufregenden Körper, der durch die nasse Kleidung zum Vorschein kam.
Timea erinnerte sich daran, wie sich Mikas Haarfarbe mit jedem Wassertropfen verändert hatte. Von Goldbraun über Ocker bis zur Farbe von Haselnüssen. Die Verwandlung war so faszinierend gewesen, dass Timea zu spät bemerkt hatte, worauf Mika gestarrt hatte.
Die Erinnerung war derart plastisch, dass sie beinah meinte, den Alarm zu hören, das Wasser zu spüren; und diese Blicke.
Timea schnellte mit dem Stuhl in die aufrechte Position, sah an sich hinunter, schnaufte einmal tief durch. Und noch einmal. Und noch ein drittes Mal. Kaltes Wasser war nicht dafür verantwortlich, dass ihr Atem flacher ging als sonst, dass sich alles in ihr nach Berührungen sehnte. Heute nicht und bestimmt auch nicht damals.
Aber was brachte es, über Vergangenes nachzugrübeln?
Vorbei.
Timea hatte Wichtigeres zu tun.
Entschlossen öffnete sie ein leeres Word-Dokument. Während sie den blinkenden Cursor betrachtete, fing sie bereits an Pläne zu schmieden.
Übergabe des Hauses an Gernot Hampffffff , schrieb sie als Erstes.
»So wird das nichts«, murmelte sie und löschte die überflüssigen Buchstaben umgehend heraus. Wenn sie auf einen grünen Zweig kommen wollte, sollte sie sich langsam ernsthaft um diese Angelegenheit kümmern. Also tippte sie weiter:
Suche nach einer Bleibe für Großmutter und mich. Dahinter fügte sie die Objekte ein, die sie bereits grob ins Auge gefasst hatte.
Petra Lorentz durfte sie auch nicht vergessen. Die war schon seit zig Jahren für ihre Großmutter tätig. Eine Seele von einem Menschen. Der Prototyp von rauer Schale und weichem Kern. Daher weigerte sich Timea, etwas von Kündigung zu schreiben. Wenn es nicht geschrieben stand, war es auch nicht wahr, versuchte das trotzige Kind in ihr, ihr weiszumachen.
»Sie bekommt auf jeden Fall ein hervorragendes Zeugnis«, stellte sich die erwachsene Frau den Tatsachen. Timea würde zudem alles in ihrer Macht stehende tun, damit Petra Lorentz vom Arbeitsamt nicht irgendwohin vermittelt würde, wo sie überhaupt nicht hinpasste.
Was bei so etwas herauskommen konnte, hatte Timea gerade erst erlebt. Drei Monate hatte sie mit Mika quasi unter einem Dach verbracht.
Timea griff nach der Zeitung. Lächelte. Man konnte sagen, was man wollte, aber wo Mikaela David war, wurde einem nie langweilig. Dazu war sie zu lebensfroh und mitteilsam. Sie knackte die härteste Nuss, wenn es darum ging, Kontakte zu knüpfen. Wie sehr hatte allein Mikas Anwesenheit Timea von ihren Problemen abgelenkt.
Okay – anderes Thema.
Was war noch zu tun?
Informationsschreiben an die Kunden, dass ich in Zukunft als Mitarbeiterin der Gernot-Hampf-GmbH tätig bin. Beim Schreiben dieses Satzes sträubten sich Timeas Nackenhaare.
Fast wünschte sie sich, dass nur ein Bruchteil ihrer Kunden mitgehen würde. Damit hätte sich dieser … hätte er sich wenigstens darin verkalkuliert. Timea wollte fair bleiben. Schließlich konnte Gernot Hampf nichts für ihre finanzielle Situation. Er nutzte sie nur für seine Zwecke aus.
Sie fixierte den Aktenordner, der im Regal stand. Darin waren die Ursachen für dieses Desaster festgehalten.
Wenn alles gutging, könnte sie ihn demnächst entsorgen. Abschließen mit den Altlasten.
Timea verzog das Gesicht – sofern das Telefon sie irgendwann einmal aus seinen Klauen ließ.
Bestimmt war dafür wieder Mika verantwortlich. Die aber diesmal zum Glück keinen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde anstrebte: für die größte Anzahl an Klingeleinheiten bei einem einzelnen Anruf. Denn es herrschte schnell wieder Ruhe.
Zu früh gefreut.
Nur zehn Minuten später läutete es wieder.
Um endlich weiterarbeiten zu können, blieb Timea nichts anderes übrig. Sie musste den Anruf entgegennehmen. »Mika, lass
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