Neptuns Tochter (Gesamtausgabe)
mich …«
»Frau Illay?« Diese tiefe Stimme gehörte eindeutig nicht Mikaela David.
Seit Timea über Mikas Bild gestolpert war, stand sie Kilometer neben sich. Je weiter der Tag fortschritt, umso mehr fühlte sie sich, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Das musste aufhören. Timea versuchte sich vorzustellen, wie sich eine süße Erdbeere auf der Zunge anfühlte. Dadurch konnte sie den sauren Beigeschmack des Tages ein wenig neutralisieren.
»Entschuldigung. Ja«, sagte sie entsprechend gefasst.
»Dennis Neubert von der Landesbank«, stellte sich der Anrufer vor.
»Herr Neubert?«, fragte Timea verdutzt. Das war doch der Angestellte, der ihren Kreditantrag abgeschmettert hatte. »Ich dachte, wir hätten alles geklärt.«
»Nicht ganz, Frau Illay. Es haben sich nämlich neue Erkenntnisse aufgetan, die Ihr Anliegen betreffen«, erklärte Herr Neubert. »Am besten, Sie kommen zu mir ins Büro, dann können wir uns darüber unterhalten.«
Timeas Bild spiegelte sich in der Fensterscheibe. Gottseidank konnte ihr Gesprächspartner das nicht sehen. Den offenstehenden Mund. Die aufgerissenen Augen. Das sah alles andere als vertrauenserweckend aus.
»Sind Sie noch da, Frau Illay?«, drang die Stimme von Dennis Neubert hohl aus dem Lautsprecher.
»Ähm … ich«, schnell legte Timea eine Hand auf die Muschel, schloss kurz die Augen und atmete laut aus, »ich muss mich noch einmal entschuldigen, Herr Neubert«, sagte Timea wieder gelassen – zumindest so gelassen, wie es ihr in Anbetracht der Situation möglich war. »Das kommt jetzt ziemlich überraschend.«
»Ich weiß«, stimmte Herr Neubert zu. »Also – wann können Sie kommen?« Offenbar wollte er sich mit dem – wie hatte er es ausgedrückt? – Anliegen von Timea Illay so schnell wie möglich befassen. Er erinnerte Timea an eines dieser Spielzeugautos, die man aufzog, auf dem Boden festhielt, und die sofort lospreschten, sobald man sie losließ.
Aber ihr sollte es recht sein. Den heutigen Tag hatte sie sich sowieso frei gehalten, um mit der Umstrukturierung – sie verzog schon wieder das Gesicht – ihres Lebens zu beginnen. Allerdings wollte sie nicht übereifrig erscheinen. »Augenblick«, bat sie daher freundlich, »ich schau mal nach.«
Die Unterbrechung gab ihr die Zeit, noch ein paarmal durchzuatmen. Sie zählte dabei stumm bis fünfundzwanzig. »Ich kann in zwei Stunden bei Ihnen sein«, schlug sie dann vor.
~*~*~*~
» A lso, Frau Illay«, begann Dennis Neubert, noch bevor sich Timea richtig hinsetzen konnte. Er musste es wirklich eilig haben. »Ich habe sehr gute Nachrichten für Sie.«
Ohne auf Herrn Neubert zu achten, rückte Timea in dem gepolsterten Sessel hin und her. Schließlich fand sie eine akzeptable Sitzposition, überschlug die Beine und sah ihren Gesprächspartner abwartend an.
»Sie sagen gar nichts«, beschwerte sich Herr Neubert.
»Wozu soll ich etwas sagen? Noch weiß ich ja nicht, worum es geht«, erwiderte Timea.
»Ach so – tut mir leid«, sprudelte es aus Dennis Neubert heraus. »Sie werden es nicht glauben, aber es gibt eine Möglichkeit, dass die Landesbank Ihren Kredit doch noch bewilligt.«
Auf dem Weg zu ihrem Termin hatte sich Timea mehr und mehr in ihren Erwartungen gebremst. Egal, was Dennis Neubert zu sagen hatte, es würde nichts an ihrem grundsätzlichen Problem ändern. Es würde es nur nach hinten verschieben. Darum löste die Nachricht bei ihr auch kein Glücksgefühl aus. »Ja?«, fragte sie beinahe desinteressiert. »Was hat denn den Sinneswandel ausgelöst?«
Dennis Neubert wirkte irritiert. »Ehrlich gesagt hätte ich mehr Enthusiasmus von Ihnen erwartet.«
Wieder so ein schmollendes Kind, dem man sein Spielzeug weggenommen hat, fuhr es Timea durch den Kopf. Am liebsten hätte sie die Stirn gerunzelt, weil sich ihre Gedanken schon wieder in eine gewisse Richtung bewegen wollten. Es gelang ihr zum Glück, sie rechtzeitig in geregelte Bahnen zu lenken.
»Meinen Kreditantrag haben Sie selbst vor genau vier Wochen abgelehnt«, erinnerte Timea den Bankangestellten. »Endgültig – wie Sie mir damals versichert haben.« Timea richtete sich gerade auf. »Da sollten Sie schon verstehen, wenn sich meine Begeisterung in Grenzen hält. Zumal ich noch immer nicht weiß, was diese Möglichkeit für mich bedeutet.« In ihrer Kehle begann es zu kratzen. Sie unterbrach sich kurz, nahm einen Schluck Wasser. »Solange ich die Details nicht kenne, will ich mich keinen falschen Hoffnungen
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