Neptuns Tochter (Gesamtausgabe)
des Schreibtisches. »Nun?«, fragte sie. Dann wartete sie auf den Bericht.
Sofort fühlte sich Mika in ihre Schulzeit zurückversetzt. Wie oft hatte sie so vor der Direktorin gesessen. Die abwartend, mit einem finsteren Blick. Mika schuldbewusst und ein wenig trotzig. Wie damals weigerte sich Mika auch jetzt, auf ein einziges Fragewort zu antworten.
Also starrten Timea Illay und Mika sich eine Zeit lang kräftemessend an.
Mika dachte daran, wie Timeas Augen vorhin dem Namen Rehbraun alle Ehre gemacht hatten. Die Finsternis darin war wohl für sie reserviert; an die sie sich bestimmt bald gewöhnen würde. Nur jetzt hatte Mika keine Ahnung, wie lange sie diesem Blick noch standhalten konnte.
Die Unruhe breitete sich immer stärker in ihr aus.
Gleich würde Mika so weit sein, dass sie nachgab, da schloss ihr Gegenüber plötzlich die Augen.
Ob Timea Illay tatsächlich kurz gezittert hatte, konnte Mika nicht sagen. Zu sehr verwirrte sie der neuerliche Wandel, der mit Timea Illay vorging.
»Erzählen Sie mir, was Sie heute alles aufgeschrieben haben … bitte.«
Dieses leise »Bitte« ließ Mika zusammenzucken. Sie fuhr sich durch die Haare, starrte die Bürotür an, als würden sich dahinter die Antworten befinden, die sie brauchte. Warum war diese Frau so kalt und im nächsten Moment so … weich? Mika bekam eine leichte Gänsehaut – Timea Illay, wer auch immer sie war, war gefährlich für ihr Seelenheil.
Jetzt mal langsam mit den jungen Gäulen, Mika. Bestimmt gibt es eine einfache Erklärung, warum sie sich so seltsam benimmt. Mika griff nach dem nächstbesten Strohhalm, der sich ihr bot. Vermutlich hatte die Großmutter ihrer Enkelin die Leviten gelesen. So von wegen Höflichkeit gegenüber den Mitmenschen. Das muss es sein.
Zufrieden holte Mika einmal tief Luft und begann ihren Bericht. »Frau Illay … ich meine Ihre Großmutter … hat von ihren Eltern … ich meine Ihren Urgroßeltern …«, stotterte sie, trotz aller Vorsätze ruhig zu bleiben, los.
Timea Illay lachte.
Oh Gott! Dieses Lachen. Es war Mika egal, ob Timea sie auslachte oder nicht. Solange sie nur nicht aufhörte. Mika wollte die Vibrationen, die diese tiefen rauen Töne in ihr auslösten, solange wie möglich genießen. Leider hörte es so unvermutet auf, wie es begonnen hatte.
»Entschuldigen Sie«, sagte Timea und griff sich an den Hals. Einen Moment hielt sich das vergnügte Blitzen noch in ihren Augen, dann war wieder alles beim Alten. »Sie müssen mir nicht haarklein alles erzählen«, fuhr sie mit unbewegter Miene fort. »Ich kenne die Geschichte meiner Großmutter. Ich kann auch alles auf dem Computer nachlesen.«
»Wozu sitze ich dann hier?«, fragte Mika verschnupft. Soviel zu ihren Überlegungen, dass sie Timea Illay mögen könnte. Eine arrogante Schnepfe wie sie. Jede andere Frau hatte ihre Zuneigung mehr verdient. Dessen war sich Mika absolut sicher.
»Ich will einen groben Abriss des Tages. Mehr nicht«, antwortete Timea Illay kalt.
»Um herauszufinden, ob ich das Versteck des Familiensilbers aus Ihrer Großmutter herausgekitzelt habe?«, ergänzte Mika den Satz. Sie wusste, dass sie gerade einen Rauswurf riskierte, aber diese Frau brachte sie schon wieder zur Weißglut. Und das brachte Mika noch mehr auf die Palme. Schließlich war sie immer stolz darauf gewesen, nie ihren Humor zu verlieren. Egal was passierte, Mikaela David blieb gelassen. Bis sie diese Villa betreten hatte. Seither befand sie sich auf einer permanenten Berg- und Talfahrt. Auf, ab – Kälte, Wärme – Hölle, Himmel – und nie wusste sie, an welcher Stelle sie sich gerade befand. Wie jetzt. Erst ein böser Blick und jetzt lachte Timea Illay wieder. Wer sollte damit klarkommen? Diesmal fand Mika das Lachen nicht berauschend. Sie fühlte sich vielmehr beleidigt.
»Ich glaube, ich muss mich noch einmal entschuldigen, Frau David. Diese Unterstellung war nicht nett von mir«, sagte Timea. »Aber Sie müssen zugeben, Sie haben mich bei unserer ersten Begegnung nicht gerade von Ihren Vorzügen überzeugt.«
»Es mag ja sein, dass Sie meinetwegen eine unfreiwillige Dusche genommen haben«, entfuhr es Mika. »Aber das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, mir zu unterstellen, dass ich hier etwas klauen will. Wenn ich aus Ihren erlauchten Kreisen kommen würde, wäre das bestimmt kein Thema. Nicht wahr?« Sie steigerte sich immer mehr in ihren verletzten Stolz hinein. »Dabei habe ich genausowenig Bock hierzusein, wie Sie mich
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