Nerd Attack
haben ihr Recht eingefordert – bis zum Rückzug des Präsidenten und seiner Flucht aus dem Land.« Die Altersstruktur der nordafrikanischen Staaten begünstigt den Aufstand mithilfe moderner Kommunikationsmittel: In Tunesien sind 50 Prozent der Bevölkerung jünger als 30 Jahre, in Ägypten sogar jünger als 24 (in Deutschland liegt die 50-Prozent-Grenze bei gut 44 Jahren). Jugend und Netzaffinität korrelieren auch in der arabischen Welt.
Die radikale Reaktion der ägyptischen Regierung war dennoch ein bis dahin einzigartiges Ereignis: Noch nie hatte ein Land, in dem das Internet bereits zum Alltagsmedium geworden war, innerhalb weniger Stunden die gesamte Bevölkerung von der größten Informationsarchitektur der Menschheitsgeschichte vollkommen abgeschnitten. In Burma und anderswo hatte es ähnliche Versuche gegeben, doch nie mit derart umfassender Wirkung.
Am Tag nach dem Blackout forderte US-Präsident Obama die Regierung Mubarak in einer Erklärung unmissverständlich auf, den Zugang der Ägypter zu den Informationsquellen des 21. Jahrhunderts sofort wiederherzustellen. Zum ersten Mal stand das Internet als Ganzes, als Mittel des freien Austauschs und möglicher Wegbereiter demokratischen Wandels im Zentrum eines weltweit beachteten politischen Konflikts. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein.
Die Geschichte von Anonymous und der neu erwachten internationalen Solidarität mit Freiheitsbewegungen in autokratischen Regimen wird bei Erscheinen dieses Buches nicht am Ende sein, ebenso wenig wie die von WikiLeaks. Es wird sich zeigen müssen, welche langfristigen Auswirkungen die Umsturzbewegungen in Ägypten, Tunesien und anderen arabischen Staaten haben werden. Eins aber steht fest: Das politische Weltgeschehen wird durch das Internet, durch digitale Werkzeuge und den fortdauernden Einfluss von Hacker-Ethik und Cracker-Geist, Hippie-Erbe und digitaler Freiheitsideologie dauerhaft und nachhaltig verändert. Das Netz hat zudem eine neue Form der Solidarität ermöglicht, hat vermeintlich apathische Teenager in westlichen Industrienationen inspiriert, sich auf einmal für die Freiheit der Völker einzusetzen – wenn auch mit oft genug zweifelhaften Methoden.
Das Erbe der Generation C64 beginnt gerade erst, seinen historischen Einfluss zu entfalten.
Nachwort
Ich liebe das Internet. Ich bin froh, dass es existiert. Ich glaube sogar, dass es das Potenzial hat, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ich achte und bewundere die Arbeit der weltweit Hunderttausenden, die Wikipedia innerhalb weniger Jahre zu einer derart wertvollen, für viele Menschen bereits unverzichtbaren Ressource gemacht haben, trotz aller Fehler und Probleme. Ich achte auch die Arbeit der vielen, die sich neue Maps für »Counter-Strike« ausdenken, die Mashups bei YouTube einstellen, in Expertenforen Ratschläge erteilen oder in ihrer Freizeit mithelfen, Linux oder Firefox besser zu machen. Ich bin noch immer begeistert von der Tatsache, dass ich mir nahezu jede beliebige Information heute innerhalb von Sekunden beschaffen kann. Ich liebe das Internet dafür, dass es meiner Tochter ermöglicht, sich öfter mal von Angesicht zu Angesicht mit ihren Großeltern zu unterhalten, obwohl die Hunderte von Kilometern weit weg wohnen. Ich liebe es dafür, dass es mir geholfen hat, nach 20 Jahren den Kontakt zu meinem US-Austauschschüler aus der neunten Klasse wiederherzustellen. Ich liebe es dafür, dass es die Welt kleiner gemacht hat.
Leider sind an den vielen Segnungen, die die Digitalisierung uns gebracht hat, Deutsche nur in Ausnahmefällen beteiligt. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wenn Indifferenz, Ignoranz und Ablehnung gegen dieses Medium hierzulande nicht bald verschwinden, werden wir vollends den Anschluss an das digitale Zeitalter verlieren. Dann wird das einstige Hightech-und Ingenieursland Deutschland zwar vermutlich auch künftig hervorragende Autos und Industrieanlagen herstellen, aber weiterhin keinerlei gestaltenden Einfluss auf die Informationsrevolution ausüben, die derzeit die Welt verändert. Im Moment sieht es nicht gut aus: Es gibt bei uns keinen einzigen namhaften Hersteller von Elektronik für Endverbraucher mehr, es werden keine Handys und keine Computer mehr unter deutscher Ägide produziert, und auch in Sachen Software haben wir mit Ausnahme von SAP weitgehend den Anschluss verloren. Deutsche Internetangebote von globaler Bedeutung existieren, von Xing einmal abgesehen, nicht. Die laut dem
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