Nero
Kaiserin-Mutter konnte sich einer flüchtigen Regung von Sympathie nicht erwehren, und milder als sonst glitt ihr ein Lächeln über das ernste, stolze Gesicht.
»Ich dachte es wohl,« sagte der Kaiser bewegt. »Wer eine Schwester von so holdseliger Art und Gebärde besitzt, der mag aus Irrtum und Uebereilung gefehlt haben, aber kann nicht schlecht sein.«
Einige Augenblicke schien er völlig versunken in diese zauberhafte Erscheinung. Dann ergriff er die Hand Agrippinas und hub mit deklamatorischem Pathos wiederum an: »Eh'vorgestern war dein Geburtstag! Bei allen Schmuckverkäufern und Juwelieren der Zweimillionenstadt habe ich Umschau gehalten, um etwas bilden zu lassen, was deiner würdig wäre: aber ich fand nur dieses klägliche Diadem. Kostbar an sich, drückt es dennoch dein ambrosisches Haupt wie ein Reif aus Korinthermetall. Jetzt vergönnt mir das Schicksal etwas Erlauchteres! Zur Ehre deines vielteuren Namens, geliebte Mutter, übe ich hier das Recht, zu lösen und zu entsühnen.«
Er befahl den Soldaten, ihren Gefangenen dicht vor die Sänfte zu führen, während sich Acte mit einem leuchtenden Dankesblicke zurückzog.
»Du hast es gehört,« sprach Nero. »Ich begnadige dich! Bringt ihn zurück nach dem Hause des Flavius Scevinus und meldet meinem vortrefflichen Freunde, was vorgefallen! Ich lasse ihn bitten, den Missethäter acht Tage lang einzusperren. Dir aber, junger Mann, empfehle ich Klugheit und Vorbedacht! Nochmals: Hältst du die Götter des Römerreiches für Traumgestalten, so opfere meinetwegen der Isis oder dem Horus, aber mäßige deine vorlaute Zunge und beleidige nicht das Feingefühl der Quiriten!«
Dem Begnadigten zuckte es um die Lippen, als wolle er, trotz aller Huld, die er erfahren, dem Kaiser etwas erwidern. Er unterdrückte jedoch seine Entgegnung, kreuzte die Hände über der Brust und stammelte ein fast unvernehmliches »Dank, Herr!«
Die Leute des Stadtpräfekten, voran der fröhliche Pharax, entledigten ihn sofort seiner Ketten. Man behandelte ihn von dieser Minute ab mit höflicher Auszeichnung. Pharax beglückwünschte ihn mit kraftvollem Händedruck.
Im Hause des Flavius Scevinus fand der Zurückgekehrte eine begeisterte Aufnahme. Die Kunde von dem Gnadenakte des Kaisers war ihm vorangeeilt. Scevinus in eigener Person empfing ihn am Ostium. Der Sklave, der die unbedachte Handlung des Artemidorus mit so großer Beflissenheit angezeigt hatte, war von dem tiefbetrübten Senator bereits vor mehreren Tagen verschenkt worden.
Zweites Kapitel
Unter den schallenden Jubelrufen der Menge hatte sich die kaiserliche Lectica wieder in Bewegung gesetzt.
Nero und Agrippina kamen vom Haus des Afranius Burrus, des Oberbefehlshabers der prätorianischen Leibwache. Burrus litt seit einigen Tagen am Fieber. Das Uebel schien, dem Ausspruch der Aerzte zufolge, geringfügig: aber dem einflußreichen Gardepräfekten schuldete man eine besondere Aufmerksamkeit.
Wie die Sänfte mit ihrer kriegerischen Gefolgschaft jetzt aus dem Vicus Cyprius abbog, kehrten die Gedanken der Kaiserin an das Krankenlager des Burrus zurück.
Heimliche Mißstimmung lag auf ihrem Gemüt: je mehr sie wahrnahm, daß sich die Gunst der Massen ihrem einst so zärtlich geliebten Sohne zuwandte, um so eifersüchtiger ward sie auf den gefährlichen Nebenbuhler. Nun suchte sie Befreiung von diesem Druck, indem sie bei Vorstellungen verweilte, die ihr die alte Zuversicht wiedergaben.
Burrus, der Oberst der Leibwache, und Seneca, der ehemalige Lehrer des Nero, hatten bis dahin ihr treulich zur Seite gestanden, wenn es galt, den jugendlichen Imperator zu lenken, die Regierungsgeschäfte im Sinne der Kaiserin zu erledigen und ihrem Sohne die Anschauung beizubringen, sie, Agrippina, sei die Erste im Reich, er aber, aus Gründen natürlicher Pietät, nur der Zweite.
Wenn so Burrus ihr Schwert und Lucius Annäus Seneca ihr Schild war: was fragte sie dann nach dem Gemurre oder dem Jubel des Volkes? Was kümmerte sie das heimliche Schwirren jener dunklen Gerüchte, die – sie spürte es, wie man den ungesehenen Blick eines feindseligen Beobachters spürt – allenthalben von Mund zu Mund gingen? Burrus zumal war ein Präfekt, wie sie ihn besser nicht wünschen konnte: sehr empfänglich für ihre Schönheit, äußerst dankbar für jedes huldvolle Lächeln, aber mehr noch durchdrungen von dem Gefühl seiner Pflicht und dem Gedanken des Allgemeinwohls. Er hatte Verständnis dafür, daß ein erfahrenes, geistig
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