Wohnraum auf Raedern
Notizen auf Manschetten
1 .
Ein Mitarbeiter des eingegangenen ›Russischen Wo r tes‹, in Gamaschen und mit Zigarre, nahm das Tel e gramm vom Tisch und überlas es mit geübtem Blick sekundenschnell von der ersten bis zur letzten Zeile.
Automatisch schrieb seine Hand an den Rand »zwe i spaltig«, doch seine Lippen spitzten sich unerwartet zu einem Pfeifen: -i-uuh!
Er schwieg. Dann riß er aufgeregt ein Eckchen ab und kritzelte:
Bis Tiflis vierzig Meilen zu laufen ...
Hat niemand ein Automobil zu verkaufen?
Oben: »Kleines Feuilleton«, seitlich »Korpus«, unten »Krähe«.
Und plötzlich begann er zu murmeln wie Dickens’ Mr. Jingle: Tja, tja. So! ... Dachte ich es mir doch! ... Vielleicht muß ich eine kleine Reise machen. Warum nicht? In Rom habe ich 6000 Lire. Credito Italiano! Was? Sechs ... Und überhaupt bin ich genaugenommen italienischer Offizier! Jawohl. Finita la com-media!
Er pfiff noch einmal, schob sich die Mütze in den N a cken und stürzte mit Telegramm und Feuilleton davon.
»Halt!« schrie ich auf einmal, »halt! Was für ein Cr e dito? Finita?! Was? Die Katastrophe?!«
Aber er war schon verschwunden.
Ich wollte ihm nachlaufen ... aber dann ließ ich es doch sein, runzelte müde die Stirn und setzte mich auf den Diwan. Warten Sie, was quält mich eigentlich? Der unverständliche Credito? Das Gedränge? Nein, nein, das ist es nicht ... Ach ja. Der Kopf. Den zweiten Tag schon schmerzt er. Er stört. Der Kopf! Und da, gerade jetzt, läuft es mir seltsam kalt über den Rücken. In einer Minute ist es genau umgekehrt: der Körper ist von einer trockenen Wärme erfüllt, die Stirn unangenehm feucht. In den Schläfen pocht es. Eine Erkältung. Der verfluchte Februarnebel! Nur nicht krank werden ... Nur nicht krank werden! ...
Alles ist fremd, doch anscheinend habe ich mich in den eineinhalb Monaten eingewöhnt. Wie gut nach dem Nebel. Häuser. Fels und Meer im goldenen Ra h men. Bücher im Schrank. Die Decke auf der Couch ist rauh, man kann unmöglich bequem liegen, das Kissen ist hart, so hart ... Aber um nichts in der Welt stehe ich auf. Was für eine Faulheit! Nicht einmal die Hand will ich heben. Eine halbe Stunde denke ich jetzt schon daran, daß ich sie ausstrecken muß, um ein Aspirin vom Stuhl zu nehmen, und strecke sie doch nicht aus ...
»Mischunja, messen Sie die Temperatur!«
»Ach, ich mag nicht! ... Ich habe überhaupt nichts ...« O Gott, wie schrecklich! Achtunddreißigneun ... es wird doch um Gottes willen nicht Typhus sein. Aber nein. Das ist unmöglich! Woher denn?! ... Und wenn es T y phus ist?! Von mir aus, nur nicht jetzt! Das wäre entset z lich ... Unsinn. Einbildung. Eine Erkältung, sonst nichts. Grippe. Vor dem Schlafengehen nehme ich ein Aspirin, und morgen bin ich gesund und munter!
Neununddreißigfünf!
»Doktor, es ist doch nicht Typhus, oder? Ich glaube, es ist einfach eine Grippe, nicht wahr? Dieser Nebel ...«
»Ja, ja ... der Nebel. Atmen Sie ... Tiefer ... So! ...«
»Doktor, ich sollte in einer wichtigen Angelegenheit ... Nur für kurz. Geht das?«
»Sie sind verrückt! ...«
Fels, Meer und Couch glühen vor Hitze. Das Kissen wenden hilft nichts, kaum legt man den Kopf darauf, ist es schon heiß. Macht nichts ... noch eine Nacht heru m wälzen, aber morgen stehe ich auf! Und wenn irgend etwas ist – fahre ich! Dann fahre ich! Man darf sich nicht gehenlassen! Eine kleine Grippe ... Kranksein ist gut. Hitze ist gut. Da kann man alles vergessen. Liegen, ausruhen, ja, nur um Gottes willen nicht jetzt! ... In diesem höllischen Wirbel ist keine Zeit für ein Schlä f chen ... Dabei möchte ich so gern ... Was könnte das sein? Ja. Wälder und Berge. Aber nicht diese verfluchten kaukasischen. Sondern unsere, die so fern sind ... Me l nikow-Petscherskij. Das Kloster ist zugeweht vom Schnee. Ein Lichtschein blinkt, und die Sauna wird angeheizt ... Genau, Wälder und Berge. Ein halbes K ö nigreich würde ich jetzt dafür geben, in der heißen Sa u na auf der Bank zu liegen. Sofort wäre mir besser ... Und dann – nackt in den Schnee hinaus ... Wälder! Tiefe Tannenwälder ... Schiffbauholz. Peter der Große im grünen Kaftan schlug Holz für den Schiffbau. Weiland, im großrussischen Reich ... Wälder, Schluchten, Ta n nengrün am Boden, ein weißes Kloster. Und ein Chor von Nonnen singt zart und deutlich:
Heil dem Herrn der Heerscharen! ...
Ach nein! Was für Nonnen! Dort gibt es gar keine! Wo waren doch die Nonnen?
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