Nervenflattern
Polizist, machte trotz seines verheulten Gesichtes einen sehr gepflegten Eindruck und roch nach teurem Parfum.
»Danke, sehr freundlich, aber ich möchte gleich zur Sache kommen.«
Er nahm ein Stofftaschentuch aus der Hosentasche, schnäuzte sich laut und nahm seine Brille ab.
»Dieter Brill hat nicht Selbstmord begangen, Herr Kommissar.«
Lenz wartete, ob Leichter eine Erklärung liefern würde für seine These, aber es kam keine.
»Was macht Sie da so sicher?«
»Niemand auf dieser Welt kennt oder kannte Dieter besser als ich.«
Er setzte seine Brille wieder auf und sah aus dem Fenster. Dann wandte er den Kopf zu Lenz und sah ihn eindringlich an.
»Was ich Ihnen jetzt sage, muss absolut unter uns bleiben, Herr Kommissar. Darauf muss ich mich hundertprozentig verlassen können.«
»Erzählen Sie, Herr Leichter. Sie können sich auf meine Diskretion verlassen.«
»Dieter und ich haben zusammengelebt. Wir waren seit 11 Jahren zusammen. Ein Paar.«
Er sah Lenz an, und eine Träne lief über seine rechte Wange. Mit dem Taschentuch, das er noch immer in der Hand hielt, fuhr er sich vom Kinn bis zum Auge und wieder zurück.
»Dieter war schwul. Wir haben uns vor 11 Jahren während einer Reise kennengelernt. Dabei hat es zwischen uns gefunkt. Glauben Sie es oder lassen Sie es, aber wir haben, soweit es uns möglich war, wie ein ganz normales Paar zusammengelebt. Für mich ist das allerdings mit großen Mühen verbunden, denn ich bin Angestellter der katholischen Kirche. Sicher können Sie sich vorstellen, dass es meiner beruflichen Karriere nicht förderlich wäre, wenn sich bei meinem Arbeitgeber herumspricht, dass ich schwul bin. Oder anders gesagt, die würden mich sofort entlassen.«
Er schnäuzte sich erneut. Lenz sah ihn ungläubig an.
»Aber die Mutter von Herrn Brill hat uns gestern erzählt, dass ihr Sohn in Wolfhagen wohnt, bei ihr im Haus. Wir haben seine Wohnung besichtigt und …«
»Seine bigotte Mutter«, unterbrach Leichter ihn schroff, »seine bigotte Mutter hat immer gehofft, dass Dieter wieder normal werden würde. Sie hat ihren Sohn seit vier Jahren nicht mehr gesehen, Herr Kommissar. Dieter hatte es aufgegeben, sie zu besuchen und sich immer wieder die gleichen Vorwürfe anzuhören. Wir waren ständigem Telefonterror ausgesetzt durch diese Frau. Und mir persönlich hat sie oft damit gedroht, mein Schwulsein an die große Glocke zu hängen. Ich lebe seit 10 Jahren in der Angst, sie könnte eines Tages zu meinem Arbeitgeber gehen und mich anschwärzen. Können Sie sich das vorstellen, so viele Jahre mit dieser Angst zu leben, nur weil ich einen Mann liebe?«
Lenz ging nicht auf die Frage ein.
»Wie haben Sie vom Tod Ihres Partners erfahren, Herr Leichter?«
»Dieter hatte gestern Geburtstag, wie Sie sicher wissen. Wir hatten uns für den Abend einen Tisch im ›Casa Manolo‹, dem Spanier am Holländischen Platz, reserviert. Später wollten wir noch in der Karlsaue spazieren gehen, wie wir das oft gemacht haben. Als er um sieben nicht zu Hause war, habe ich versucht, ihn über sein Mobiltelefon zu erreichen. Es war ausgeschaltet.«
Tja, dachte Lenz, das Bad in der Fulda dürfte zu viel gewesen sein für das Ding.
»In seiner Dienststelle hier in der Stadt war niemand mehr, also habe ich es bei seiner Mutter versucht, obwohl ich ihn dort nicht wirklich vermutete. Aber da sein erster Wohnsitz noch in Wolfhagen gemeldet ist, wäre im Fall eines Unfalls ja die Mutter verständigt worden. Es war besetzt. Es war eine halbe Stunde lang besetzt, und ich bin fast wahnsinnig geworden.«
In diesem Moment klopfte es kurz, und im gleichen Moment wurde die Bürotür aufgerissen. Hain stand im Raum.
»Wo bleibst du denn, ich …«
Dann sah er Leichter, der ihn mit großen Augen anstarrte. Lenz hob die rechte Hand und deutete auf seinen Besucher.
»Thilo, das ist Herr Leichter, ein wichtiger Zeuge im Fall des Toten von der Bergshäuser Brücke. Wenn du bitte den Kollegen ausrichten würdest, dass ich später komme. Wir haben noch eine Weile hier zu tun.«
Hain verstand gar nichts, ließ es sich aber nicht anmerken.
»Ist klar, Chef. Ich gehe schon mal rüber in mein Büro, wir sehen uns später.«
Dann sah er Leichter an.
»Tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe. Schönen Tag noch allerseits.«
Lenz zuckte mit den Schultern.
»Verzeihung, Herr Leichter, erzählen Sie weiter«, ermunterte er seinen Besucher, als Hain die Tür hinter sich geschlossen hatte.
»Ich konnte Dieter nicht
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