Nervenflattern
männermordender Vamp. Ein Bild von einer Frau. Riesenbusen, lange Beine, braungebrannt, klug. Und so einladend. Warum fragst du?«
Die Anruferin lachte los.
»So genau wollte ich es gar nicht wissen, aber gut. Jetzt weiß ich, dass ich mir wegen ihr keine Sorgen machen muss.«
»Wieso?«
»Weil du das alles bei mir hast. Oder zumindest vieles davon.«
»Du bist eifersüchtig?«
»Wenn es um dich geht, immer«, antwortete sie entschieden.
»Keine Sorge. Ich habe mit dir wirklich genug zu tun. Einen weiteren Pflegefall verkrafte ich nicht.«
»Was machst du am Donnerstag?«
Sein Herzschlag setzte für einen winzigen Moment aus.
»Heißt das, wir können uns am Donnerstag sehen?«
»Erich ist kurzfristig für Donnerstag zu einer Sitzung seiner Parteibonzen nach Berlin zitiert worden. Damit ist in meiner Tagesplanung plötzlich eine ziemliche Lücke entstanden, die ich gerne mit dir füllen würde. Falls du es vergessen haben solltest, Donnerstag ist Feiertag.«
»Nein, ich weiß«, antwortete er.
»Also, ich fahre am Donnerstag ganz früh morgens mit dem ICE nach Hannover, weil ich dort eine Ausstellung besuchen will. Moderne Kunst, also das pure Gift für dich. Aber wenn du ja sagst, musst du das über dich ergehen lassen. Abends wäre ich wieder zu Hause, aber zwischen Kunst und Abend liegen noch ein paar Stunden.«
Lenz grinste.
»Die Lücke, wenn ich dich richtig verstehe.«
»Exakt.«
»Gerne«, sagte er.
Sie gab ihm die Abfahrtszeit des Zuges durch und die Nummer ihrer Sitzplatzreservierung.
»Ich freu mich auf dich«, sagte Maria Zeislinger, die Frau des Kasseler Oberbürgermeisters Erich Zeislinger.
»Ich auch«, antwortete Lenz.
10 Minuten später war er eingeschlafen.
5
»Es tut mir leid, Frau Dr. Driessler.«
Er saß auf dem gleichen Stuhl wie am Tag zuvor, die Psychologin gegenüber.
»Schwamm drüber, Herr Lenz. Gestern war ein Tag zum Vergessen, scheinbar für uns beide. Fangen wir einfach noch mal von vorne an.«
Lenz war früh und gut gelaunt wach geworden. Der Gedanke an einen Tag mit Maria hatte ihn in eine fast euphorische Stimmung versetzt. Um halb acht saß er in seinem Büro am Schreibtisch und las die Aussagen der beiden Zeugen, die im Auto hinter Dieter Brill auf der Bergshäuser Brücke unterwegs gewesen waren. Dann hatte er die Nummer von Frau Dr. Driessler gewählt und um eine kurze Unterredung gebeten. Sie war sofort bereit, ihn zu empfangen.
»Leider habe ich in einer Viertelstunde den nächsten Termin, deshalb muss ich Sie für unser Gespräch auf nächste Woche vertrösten.«
»Gut, aber ich bin eigentlich nicht wegen unseres Desasters von gestern hier.«
»Sondern?«, fragte sie erstaunt.
»Wir hatten gestern einen Toten. Er ist mit seinem Wagen die Fuldabrücke bei Bergshausen hinuntergestürzt.«
Lenz schilderte ihr den Unfallhergang auf der Brücke und das Gespräch mit der Mutter.
Die Ärztin verschränkte die Hände in ihrem Schoss.
»Die Reaktion der Mutter ist nicht ungewöhnlich, so wie Sie das schildern. Er lebt zu Hause, ist aber nicht das geworden, was man sich erhofft hat. Die Mutter wirkt dominant. Dazu die Depressionen des Sohnes, die für solche Menschen oftmals eine Schwäche darstellen. Das passt schon zusammen.«
»Wie depressiv muss man denn sein, damit man sich von der Brücke stürzt?«
»Schwierig zu beurteilen. Aber vielleicht hilft es Ihnen weiter, wenn ich Ihnen sage, dass ein hoher Prozentsatz der an Depressionen erkrankten Menschen im Lauf ihres Lebens einen Suizidversuch unternimmt. Und vielen gelingt er dann eben auch.«
»Ich dachte immer, mit den modernen Medikamenten wären Depressionen gut therapierbar?«
»Ja und nein. Bei manchen Patienten hat man überraschende Erfolge, bei anderen fragt man sich, warum nichts eine Wirkung zeigt. Ich zum Beispiel hatte einen Patienten, der musste 10 oder 11verschiedene Wirkstoffe ausprobieren, bis eine Besserung seines Zustandes eingetreten ist. Und in solchen Fällen ist der Weg zum Suizid dann nachvollziehbar. Wobei diese Menschen eigentlich gar nicht sterben wollen, wie man vermutet. Sie wollen nur das Leid, das die Krankheit ihnen zufügt, nicht mehr ertragen. Einfach gesprochen: der Tod ist das kleinere Übel.«
»Ich werde vielleicht noch mit der Klinik telefonieren, in der er letztes Jahr gewesen ist, und dann kann ich wohl den Deckel draufmachen. Der Staatsanwalt ist auch der Meinung und hat sich sogar entschieden, auf eine Obduktion zu verzichten.«
»Hm«, machte sie.
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