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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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gefeilscht. Der Käufer bemühte sich möglichst wenig Interesse am Kaufobjekt zu zeigen, bis der Verkäufer am Rande eines Nervenzusammenbruchs zu stehen schien – auch das ein Teil der Verhandlungstaktik. Für einen Außenstehenden war es manchmal gewiss schwer zu verstehen, dass sich jemand, der eine Ware gar nicht wollte, so lange mit jemandem, der diese nicht verkaufen mochte, über die Höhe ihres Preises unterhalten konnte. Eigenartigerweise endeten solche Verkaufsgespräche doch meist mit einem Abschluss, der beide Handelspartner zufrieden stellte.
    Bezahlt wurde nicht immer mit der auf Neschan üblichen Währung, dem Even. Oftmals wurden auch Waren gegen Waren getauscht – also Rinder gegen Pferde, Stiefel gegen Messer, Tuche gegen Felle, Klatsch gegen Tratsch…
    Auf Yonathans Pflegevater, Navran Yaschmon, übte der Große Markttag eine eigenartige Anziehungskraft aus. Yonathan konnte sich nicht erinnern, je einen Markttag versäumt zu haben. Für gewöhnlich scherte sich Navran wenig um das Geschwätz der Leute; dafür musterte er jeden Fremden und alle feilgebotenen Waren mit größter Aufmerksamkeit. Obwohl er nie mehr als die lebensnotwendigen Einkäufe tätigte, schien er doch immer nach etwas ganz Bestimmtem Ausschau zu halten. Mehr als fünf Jahre lang suchte er nun schon unermüdlich nach irgendetwas. Yonathan hatte schon aufgehört über dieses seltsame Verhalten Navrans nachzudenken. Für ihn war es nicht mehr als die Marotte eines liebenswerten, alten Mannes.
    Als Yonathan aus dem Finkenwald heraustrat und sich von Norden her Kitvar näherte, herrschte Ruhe in dem kleinen Städtchen. Seit dem letzten Großen Markttag waren erst fünf Tage vergangen und der nächste kleinere Wochenmarkt würde erst in zwei Tagen stattfinden. Da der Abend bereits fortgeschritten war, hing die Sonne schon nahe über dem Horizont und das Nordmeer, auf das Yonathan aus seiner erhöhten Position über der kleinen Kitvar-Bucht einen guten Ausblick hatte, glitzerte von Myriaden rotgoldener Lichtreflexe. Auf seinem Weg nach Hause hatte er immer wieder rasten müssen; die Ereignisse in der Höhle waren kräftezehrender gewesen, als er sich selbst eingestehen wollte. Unmittelbar an den Wald, der in das hoch gelegene Küstengebirge führte, grenzten Weiden, auf denen vor allem Schafe ihr Futter suchten. Die Weideplätze waren durch flache Steinmauern begrenzt, aufgeschichtet aus denselben unbehauenen Felsbrocken, aus denen auch fast alle Häuser in Kitvar bestanden. Zu beiden Seiten der kleinen Stadt ragten rötlich braune Klippen empor, die schroff und unberechenbar aus dem Meer herauswuchsen. Sie machten das Landen von Booten außerhalb von Kitvars Hafen so gut wie unmöglich. Mit dem Küstengebirge im Rücken, den Klippen zu beiden Seiten und dem Meer vor der »Haustür« war Kitvar somit gut geschützt, sowohl vor Feinden als auch vor dem ständig vom Meer herüberfegenden Wind.
    Yonathan marschierte gerade zwischen zwei Steinmauern entlang, als er in der Ferne einen Mann bemerkte, der sich ihm näherte. Schon bald erkannte Yonathan den Gang des anderen. Auch die aus Lammfell gefertigte Weste sowie der lange Stab waren ihm wohl bekannt. Es war Lemor, der Schafhirte.
    Lemor lebte mit seiner Frau bei den Weiden, am Rande Kitvars. Yonathan schätzte den etwa sechzig Jahre alten Mann wegen seiner ruhigen und freundlichen Art. Einmal hatte Lemor ihm eine Hirtenflöte geschenkt, die er aus einem Ahornzweig geschnitzt hatte. Diese Flöte sah Yonathan als seinen kostbarsten Besitz an. Außer dem eingekerbten Anfangsbuchstaben seines Namens über dem oberen Tonloch war das Instrument ohne Verzierungen. Dafür hatte es einen warmen, weichen Klang, der im Geiste Bilder zu erschaffen vermochte.
    Yonathan bemerkte beim Näherkommen einen finsteren Ausdruck auf dem Gesicht des Hirten. Um ihn aufzumuntern, rief er ihm fröhlich zu: »Sei gegrüßt Lemor! Wie geht es dir?«
    »Ach, lass mich in Ruhe«, fuhr ihn der Schafhirte an und stieß ihn im Vorbeigehen mit der Handfläche so heftig vor die Brust, dass Yonathan ins Stolpern geriet und hintenüber auf den Boden fiel. Zu allem Unglück schlug er auch noch mit dem Kopf gegen die Steinmauer.
    Einen Moment schaute Lemor erschreckt und besorgt. Als er bemerkte, dass sich Yonathan zwar mit der Hand den Hinterkopf rieb, sonst aber nichts Schlimmeres passiert war, verwandelte sich das Gesicht des Hirten wieder in eine versteinerte, graue Maske. Lemor wandte sich um und stapfte weiter den

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