Nesthäkchen 02 - Nesthäkchens erstes Schuljahr
dem sie schon so oft ihre Blicke sehnsüchtig auf Besuch geschickt hatte.
Dort gab es zwei kleine Blondköpfe, die Annemarie bereits vom Fenster her kannte: Bubi und Baby. Der vierjährige Bubi thronte auf dem Schaukelpferd und ließ sich in seinen Reitkünsten durch den Besuch in keiner Weise stören. Baby aber, ein süßes, kleines Mädelchen von zwei Jahren, kam Annemarie sofort mit zärtlich ausgebreiteten Ärmchen entgegengetappelt.
Ach, das war ja ein noch viel schöneres Spielzeug als Puppe Gerda. Annemarie war von dem lebendigen Püppchen ganz begeistert, sie vergaß sogar fast Margot.
»Was wollen wir denn spielen?« brachte sich diese schließlich schüchtern wieder in Erinnerung.
»Gnädige Frau«, schlug Annemarie vor, »Baby ist mein Kind, und wir bauen uns unsere Wohnung hier am Fenster. Und du kannst unser Fräulein sein oder auch Hanne, die Köchin, dann kochst du uns das Mittagessen.«
Margot fand es lustiger, »Hanne« vorzustellen, und sogar Bubi kam von seinem Gaul herab, um sich zu beteiligen. Er durfte Puck sein und mußte auf allen Vieren im Zimmer herumkriechen und dazu bellen. Das tat er mit so viel Kraftanstrengung, daß alsbald Frau Thielen auf der Schwelle erschien, weil der Lärm nicht auszuhalten war.
Sie machte dem kunstgerechten Hundegebell schnell ein Ende und begrüßte den kleinen Gast freundlich.
»Also du bist Doktor Brauns Nesthäkchen; na, halte nur gute Freundschaft mit unserer Margot. Spielt nun lieber Bilderlotto, Kinder, das ist weniger geräuschvoll; Margot setzt etwas aus ihrer Schultüte als Gewinn aus.«
Jubelnd wurde dieser Vorschlag angenommen. Auch Bubi kannte schon die Bilder und konnte mitspielen. Als Fräulein Lena um halb sieben Uhr erschien, um Nesthäkchen abzuholen, glaubte dieses, sie hätten eben erst angefangen zu spielen. So schnell war die Zeit vergangen.
»Auf Wiedersehen morgen in der Schule, Margot; wirst du wieder heulen?« erkundigte sich Annemarie noch draußen im Korridor.
Aber Margot schüttelte das Köpfchen. Nein, jetzt mit Annemarie zusammen hatte sie gar keine Angst mehr.
Fräulein hatte inzwischen Annemaries neue Schulbücher mit feinem, dunkelblauem Papierkleide versehen und weiße Etiketten mit dem Namen draufgeklebt.
»Wie die Soldaten sehen sie in ihrer blauen Uniform aus!« begeisterte sich Nesthäkchen.
»Nun sorge aber dafür, Annemie, daß alle Bücher und Hefte schön sauber bleiben«, mahnte Fräulein Lena.
Das versprach die Kleine auch, aber ihre Gedanken waren nicht recht dabei. Die wanderten bereits zu der roten Schultüte hin, die sie vorsorglich im Puppenwagen versteckt hatte. Sicherlich - sie hatte noch viel mehr drin als Margot in ihrer grünen!
Doch als Annemarie jetzt ihre rote Tüte hervorzog und liebevoll hineinäugte, wurde ihr Gesichtchen lang und länger.
»Fräulein, es ist alles raus, kein Stück ist mehr drin; ach, wer mag das bloß gewesen sein?« Bitterlich flossen die Tränen.
Auch die kleinen Schultüten der Puppen, die Annemarie sofort einer Untersuchung unterzog, waren sämtlich geräubert.
Nur die Puppen wußten, daß der Dieb ein krausköpfiger Sextaner mit braunen Augen war. Die wußten auch, wo Nesthäkchens vermißter Stundenplan und der Bücherzettel hingekommen waren. Der Stundenplan prangte als Hut auf dem Kopfe des Herrn Matrosen, und den Bücherzettel hielt Puppe Gerda zierlich zusammengedreht als Schultüte in der Hand.
Aber die Puppen schwiegen alle, keine verriet ein Sterbenswörtchen.
Nesthäkchens erste Freundin
»Guten Morgen, Kinder.« Fräulein Hering betrat die Klasse, in der es gar lustig wie in einem Bienenhause durcheinander schwirrte.
Kein Kind saß auf seinem Platz, alles lief umher, teilweise sogar in Hut und Mäntelchen; denn die Muttis und Kindermädchen durften ihren Schützlingen nur am ersten Tage bis zur Klasse das Geleit geben. Heute sollten sich die Kleinen schon allein ausziehen, und das schwere Kunststück hatte nicht jede fertig bekommen.
Hier zeigten sich zwei ihre bunten, gestern erhaltenen Schultüten, dort malte ein Kind voll Feuereifer Häuser und Püppchen an die große, schwarze Schultafel. Hilde spielte mit Erna »Haschen« durch alle Bänke und schmalen Gänge hindurch. Und Annemarie thronte sogar hoch oben auf dem Pult. Margot hatte sie dazu veranlaßt, weil man von dort alles viel schöner sehen konnte.
Der jubelnde Lärm verstummte auch nicht beim Eintritt der Lehrerin.
Keines der Kleinen ließ sich in seinem Vergnügen
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