Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
haben ihren Kalender
am 21. Dezember dieses Jahres enden lassen. Eine seherische Leistung ersten Ranges
und für mich ein sicheres Zeichen.«
»Ah ja!«
Leopold räumte das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine.
»Spotte
nicht, Leopold!« Herr Otto hob warnend seinen Zeigefinger. »Das sind alles Tatsachen,
furchtbare aber unbestreitbare Tatsachen. Ich bin jedenfalls gewappnet.« Seine kleinen
Augen begannen jetzt seltsam zu funkeln, sei es, dass eine frühnachmittägliche Weinseligkeit
von ihm Besitz ergriff, sei es, dass er eine Vision von der Apokalypse hatte.
»Sie haben
diesbezüglich alles geregelt? Das Testament liegt beim Notar?«, warf Leopold gedankenlos
ein.
»Du hast
den Ernst der Sache wirklich nicht begriffen! Wer soll mich beerben? Es sind ja
dann alle tot, alle! Man kann sein Geld höchstens noch hier und jetzt anbringen.«
»Also auf
ins Kasino!«
Herr Otto
schüttelte missbilligend den Kopf. »Du willst mich einfach nicht verstehen, Leopold.
Dabei gibt es durchaus noch sinnvolle Dinge, die man machen oder unterstützen kann.
Komm, schenk mir noch ein Vierterl ein, ehe du weiteren Unsinn redest.«
Leopold
tat, wie ihm geheißen. Währenddessen kam Frau Heller aus ihrer kleinen Küche und
betrachtete kurz mit fachmännischem Blick die gesamte Szene. Bei den Billardtischen
in der Mitte des Lokals war nichts los, bei den Kartentischen hinten auch nicht.
Im vorderen Lese-, Plauder- und Rauchbereich konnte man die Gäste an den Fingern
einer Hand zählen. Die Brille rutschte ihr bis an die Spitze ihrer Nase hinunter.
»Kommen Sie einen Augenblick, Leopold«, forderte sie. »Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen.«
Sie zog ihn ein wenig auf die Seite. »Schauen Sie sich um, und sagen Sie mir dann,
was Sie sehen«, bat sie ihn.
»Was soll
ich schon sehen?« Leopold ließ seinen prüfenden Blick durchs Kaffeehaus schweifen.
»Kartentische, wo keiner Karten spielt, und Billardtische, wo keiner Billard spielt.
Drei Leute sitzen beim Fenster, einer in der Ecke links hinten. An der Theke steht
der Herr Otto, und draußen scheint die Sonne.«
»Sehr gut
beobachtet«, nickte Frau Heller beifällig. »Das Wesentliche haben Sie erkannt: Das
Wetter ist schön, und uns fehlen die Gäste.«
»Na ja,
jetzt, kurz nach Mittag, ist freilich nicht viel los«, versuchte Leopold zu relativieren.
»Bis zum Abend wird das Geschäft schon besser, und Thomas Korber kommt sicher noch
mit einigen Schauspielern nach der Theaterprobe vorbei.«
»Das ist
leider mehr oder minder uninteressant. Jeden Sommer ist es dasselbe: Die Menschen
setzen sich ans Wasser, in einen Biergarten oder zum Heurigen. Unsereiner als Kaffeehaus
kommt dagegen nicht an.«
»Sie wollen
doch nicht gar einen Schanigarten …«
»Papperlapapp,
Schanigarten. Sie sind der Erste, der mir zu jammern beginnt, wenn Sie ständig hinauslaufen
und die zwei Stufen hinauf- und hinuntersteigen müssen. Außerdem ändert das ja nichts.
Es kommen keineswegs mehr Leute, nur sitzen alle draußen, und herinnen ist es ganz
leer. Nein, Leopold, ich habe Größeres vor.«
Leopold
kannte seine Chefin. Sie bekam jetzt dieses Leuchten in den Augen, das anzeigte,
dass Gefahr drohte. »Ich habe beschlossen, dass wir im August einen Monat zusperren«,
platzte es da auch schon aus ihr heraus.
»Zusperren?«
Leopold verschlug es vor Schreck für einen Augenblick die Sprache.
»Jawohl!
Um diese Zeit sind sowieso alle auf Urlaub. Und Sie können auch einmal wegfahren
und ausspannen. Na, ist das nicht schön?«
»Wegfahren?
Wo soll ich denn hin?«, fragte Leopold verzweifelt.
»An irgendeinen
schönen Ort, das wird ja nicht so schwer sein. Dort rasten Sie sich einmal gründlich
aus und lassen es sich so richtig gut gehen. In der Zwischenzeit werden wir das
Kaffeehaus hier gründlich renovieren.«
Leopold
sagte jetzt gar nichts mehr. Er hielt sich mit der Hand an einer Stuhllehne fest,
damit er nicht gleich umfiel. Der Schock saß tief.
»Der hintere
Teil mit den Kartentischen wird zu wenig genützt«, legte Frau Heller unbeirrt ihre
Pläne dar. »Die Kartenspieler, die ohnedies gerne rauchen, setzen wir deshalb vorne
in den Eingangsbereich und stellen die Billardtische nach hinten. Im mittleren Teil
machen wir eine gemütliche Lounge für unsere jüngeren Gäste.«
Das Wort
›Lounge‹ sorgte für einen stechenden Schmerz in Leopolds Ohr. Es klang so nach Schalensitz
und Flughafen.
»Natürlich
wird alles neu tapeziert und auf Hochglanz gebracht«, fuhr Frau Heller fort.
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