Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
muss man sich fragen, ob es überhaupt Sinn macht, ins Kaffeehaus zu
gehen, nur um sich mit journalistischem Schwachsinn herumzuärgern.«
»Leopold,
warum ist denn heute der Herr Bendl nicht da?«, erkundigte sich wiederum ein anderer.
»Vermutlich,
weil er gestern da war, und Sie nicht da gewesen sind«, antwortete Leopold dienstbeflissen.
»Seltsam.
Und wann kommt er wieder?«
Leopold
zuckte die Achseln. »Wenn Sie wieder kommen, hat er gesagt. Mehr weiß ich
auch nicht.
»Trostlos«,
erwiderte der Gast. »Wenn der Herr Bendl nicht da ist, mit wem soll ich denn dann
diskutieren? Warum bin ich überhaupt da? Ich glaube, es ist besser, ich bleibe die
nächsten Tage zu Hause.«
So ging
es ständig, und Leopold war froh, dass die meisten Stammgäste ihre Drohungen nur
in gemäßigter Form wahrmachten. Ein einziger Mensch stand jeden Tag ab etwa 13 Uhr
an der Theke und trank sein Viertel Weißwein, ohne sich um die sommerlichen Temperaturen
oder die stickige Luft zu kümmern. Er war allen bekannt als ›der Herr Otto‹. Ehemals
Beamter im Wiener Rathaus, war er vor etwas über einem Jahr in Pension gegangen.
Nun tauchte er mit derselben Regelmäßigkeit, mit der er früher Akten geordnet hatte,
in den Lokalen rund um die Alte Donau und den Floridsdorfer Spitz auf. Seine Tour
begann um neun Uhr vormittags und dauerte bis etwa sieben Uhr abends. Um diese Zeit
wandte er sich dann, die nötige Bettschwere im Kopf und in den Gliedern, heimwärts.
Kein Mensch hatte ihn in diesem Jahr woanders als in einer Gaststätte oder auf dem
Weg dorthin gesehen. Die Route variierte aufgrund diverser Ruhetage, aber das war
auch schon alles. So hatte sein Leben die Beständigkeit aus den Berufstagen beibehalten,
wenngleich nicht unbedingt zu seinem Vorteil.
»Noch ein
Vierterl, Herr Otto?«, ermunterte ihn Leopold wie gewohnt, die übliche Menge nicht
zu unterschreiten.
Mit einem
Blick, der die Ferne der hinteren Kaffeehauswand fokussierte, während er den Rauch
seiner Zigarette tief in sich einsog, deutete Herr Otto mit dem Finger in Richtung
seines Glases und zeigte damit, dass er für eine Nachfüllung bereit war. »Eigentlich
ist es ja völlig egal, ob ich noch eines trinke oder nicht«, sinnierte er. »Aber
schaden tut es auf keinen Fall.«
»Ich verstehe,
der Herr Otto haben heute wieder seinen nachdenklichen Tag«, bemerkte Leopold diskret.
»Es ist
im Prinzip auch egal, ob ich nachdenke oder nicht«, fuhr Herr Otto fort. »Bald ist
überhaupt alles egal. Es kommt nämlich der Komet.«
»Der Komet!
Natürlich, Herr Otto!« Leopold kannte die Geschichte, die jetzt kommen würde, bereits
in- und auswendig, aber im Augenblick war nicht viel los, also hörte er geduldig
zu.
»Ja, der
Komet. Es kann natürlich auch ein anderer Himmelskörper sein, Leopold, etwa der
Nibiru. Irgendein Ding kracht auf unsere Erde, und dann ist es aus.«
»So richtig
ganz aus, meinen Sie?«
»Selbstverständlich!
Bedenke doch nur, Leopold, welche katastrophalen Folgen ein kleiner Riss am Grunde
des Ozeans hat: Seebeben, Tsunami, mörderische Flutwellen und so weiter. Seit den
letzten Unglücksfällen dreht sich unsere Erde auch schneller, zwar nur um den Bruchteil
einer Sekunde, aber immerhin. Was glaubst du, was da erst los ist, wenn ein gewaltiger
Himmelskörper mit unserem Planeten kollidiert.«
»Das wird
einen ziemlichen Kracher geben.«
»Was heißt
Kracher! Das ist die Vernichtung, Leopold, die absolute Vernichtung! Das mit den
Dinosauriern vor ein paar Millionen Jahren war ein Dreck dagegen. Es bedeutet den
Weltuntergang, kein Mensch wird überleben. Und was das Schlimmste ist: Dieser Untergang
steht unmittelbar bevor!«
»Haben Sie
Beweise?«, fragte Leopold, während er Gläser, Schalen und Häferln auf ihren Platz
stellte und überhaupt schaute, dass alles seine rechte Ordnung hatte.
»Beweise?«
Herr Otto lachte heiser in sich hinein. »Hast du schon einmal beobachtet, wie viele
Himmelskörper sich da oben im All herumbewegen? Hier erlischt ein Stern, da entsteht
ein neuer. Aber was da so blinkt und leuchtet zieht eben nur scheinbar regelmäßig
seine Kreise oder Ellipsen. Eine winzige Abweichung, schon gerät so ein Ding aus
dem Gleichgewicht und die Katastrophe ist fertig. Ist alles eine Sache von Masse
und Schwerkraft. Es kann ständig passieren, nur sind wir uns unserer Lage nicht
bewusst. Warum bilden wir uns bloß ein, wir könnten auf immer und ewig von einer
Kollision verschont bleiben? Die Mayas waren da anders! Sie
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