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Nett ist die kleine Schwester von Scheiße

Nett ist die kleine Schwester von Scheiße

Titel: Nett ist die kleine Schwester von Scheiße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Niazi-Shahabi
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gutes Benehmen kann auch unattraktiv machen. So hat der Disney-Konzern zum Beispiel eine große Umgestaltung seiner bekanntesten Figur, der Micky Maus, gestartet. Denn der Besserwisser und Tausendsassa Micky wird laut umfangreichen Marktforschungen bei Kindern immer unbeliebter. Die zwei häufigsten Vorwürfe der befragten Zielgruppe sind: Micky Maus macht alles richtig und weiß alles besser. Nun soll die Strebermaus daher ein paar Schwächen bekommen und auch Dinge machen, die man eigentlich nicht tut, sodass eine bessere Identifikation mit ihr möglich ist.
    So weit sind die Macher der amerikanischen Sesamstraße noch nicht. Hier will das Fernsehen die Beliebtheit des Krümelmonsters aus der Sesamstraße nutzen, um Vorschulkindern eine gesündere Lebensweise nahezubringen: Das Vorbild Krümelmonster soll daher keine Kekse mehr in sich hineinstopfen, sondern Möhren knabbern. Doch damit wird – und das sollte eigentlich jedem klar sein – genau das zerstört, was das Monster bei Kindern so beliebt macht. Die Kinder lieben das Krümelmonster ja gerade deshalb, weil es sich so herrlich unkorrekt verhält. Hassobjekte sind dagegen die beiden braven, blond bezopften Mädchen mit den piepsigen Stimmen.
     
    Auch der Berliner Rapper Bushido hat sich künstlerisch ruiniert, als er anfing, den geläuterten Radaubruder zu spielen. Seinen Erfolg verdankt er ja gerade seinen schwulen- und frauenverachtenden, rassistischen, gewaltverherrlichenden und antisemitischen Texten. So konsequent geschmacklos waren seine Botschaften, dass die Musiksender MTV und Viva alle seine Videos aus dem Programm nahmen. Er tauge nicht zum Vorbild, sagten die Organisatoren der Initiative »Schulen gegen Gewalt« und wollten ihn nicht mehr dabeihaben. Ein Kerl, der zwischen Nutten und echten Schlampen unterschied, ein Gegenmodell zu den Vertretern einer förderungswürdigen Jugendkultur, das war Bushido.
    Doch heute rennt er in Talkshows und wirft sich Politikern wie Horst Seehofer und Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit an den Hals. 2011 will er sogar die CSU-Hymne singen! Das ist natürlich nicht strafbar, aber damit führt er sich selbst ad absurdum.
    Denn ein Rapper, der gut sein will, ist schlimmer als einer, der flucht. In der Filmbiografie Zeiten ändern dich von Uli Edel gibt er den harten Kerl, der die Widersprüche seiner Kindheit und Jugend aufgelöst hat und nun anderen helfen möchte, wieder auf den rechten Weg zu gelangen. Und so wird das Gangsterimage, mit dem Bushido sein Geld verdient hat, immer schwächer und schwächer.
     
    Ein italienisches Restaurant in Berlin und eine jüdische Bäckerei in New York verdanken ihre große Beliebtheit ebenfalls genau der Sehnsucht der Menschen nach Regelbrüchen. Im Due Forni in Berlin mit 300 Plätzen muss man stets vorreservieren. Markenzeichen des Restaurants: die ruppige Bedienung. Auch bei Murray’s Bagels in Manhattan mit dem sagenhaft spröden Personal stehen die New Yorker Schlange nach den Bagels.
     
    Wie kommen also meine Seminarteilnehmer zu der Annahme, dass sie durch gute Manieren ihre Beliebtheit steigern könnten? Und wieso glaubt Wolfram Siebeck, dass andere Menschen, nur weil er das Glas gerne am Stiel hält, dies auch tun sollten? Übrigens belegt Siebeck durch seine Klage, dass die Regel, Weingläser am Stiel anzufassen, offensichtlich immer weniger Leuten bekannt ist – womit sie sich dann auch von selbst erledigt hätte. Denn da Manieren gesellschaftliche Codes sind, ist es ja zwingend erforderlich, dass es Menschen gibt, die diese Codes auch verstehen. Wenn aber kaum jemand mehr die Regel kennt, von der Siebeck spricht, kann sich auch niemand mehr durch das »falsche Halten« eines Glases gekränkt fühlen – warum also dann diese Gewohnheit künstlich aufrechterhalten? Wein lässt sich doch ebenso gut trinken, wenn man das Glas am Kelch packt, und Menschen haben im Übrigen schon Wein genossen, als es noch gar keine Trinkgläser gab. Vor 2000 Jahren war es bei den Germanen zum Beispiel üblich, Honigwein aus den Schädeln der Feinde zu trinken – auch das funktionierte, und man wurde betrunken. Es wäre allerdings nicht uninteressant zu wissen, ob es damals als eleganter galt, den Schädel am Kiefer oder in den Augenhöhlen zu greifen.
    Als die Knigge-Expertin Isa Gräfin von Hardenberg 2000 ihren neuen Benimmratgeber veröffentlichte, gab es zu Promotionszwecken einen Test im Internet: Auf einem Foto von einem Cocktailempfang sollten zwölf Fehler

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