Neue Bündnisse
umsegelt«, sagte sie ernst. »Es ist möglich.«
Sheriam runzelte die Stirn, als Siuan hinauseilte und weitere Kälte hereinließ. »Manchmal denke ich...«, begann sie, aber was immer sie manchmal dachte, teilte sie Egwene nicht mit. »Warum tut Ihr das, Mutter?« fragte sie statt dessen. »Euer Verhalten heute am See und jetzt die Einberufung des Saals. Und warum habt Ihr uns den ganzen gestrigen Tag damit verbringen lassen, mit jedermann, der uns begegnete, Gespräche über Logain zu führen? Ich bin der Ansicht, daß Ihr es mir erklären solltet. Ich bin Eure Behüterin der Chroniken. Ich habe Treue geschworen.«
»Ich werde Euch sagen, was Ihr wissen müßt«, erwiderte Egwene und warf sich den Umhang um die Schultern. Es war nicht nötig zu sagen, daß sie einem erzwungenen Schwur, selbst dem einer Schwester, keineswegs traute. Und Sheriam könnte einen Grund finden, trotz des Schwurs dem Falschen etwas zu verraten. Aes Sedai waren immerhin dafür bekannt, sich bei ihren Worten Hintertürchen offenzulassen. Sie glaubte nicht wirklich, daß das geschehen würde, aber sie durfte, genau wie bei Lord Bryne, nicht einmal kleine Risiken eingehen, es sei denn, sie war dazu gezwungen.
»Ich muß Euch sagen«, sagte Sheriam verbittert, »daß morgen entweder Romanda oder Lelaine wohl Eure Behüterin der Chroniken sein wird und ich Buße tun werde, weil ich den Saal nicht gewarnt habe.«
Egwene nickte. Das ist nur allzugut möglich. »Wollen wir gehen?«
Die Sonne stand als rote Scheibe über den Baumwipfeln im Westen, und ein unheimliches Licht spiegelte sich auf dem Schnee. Diener verbeugten sich schweigend oder vollführten still Hofknickse, als Egwene vorüberging. Ihre Mienen waren besorgt oder ausdruckslos. Diener konnten die Stimmungen ihrer Dienstherren fast ebenso schnell erkennen wie Behüter.
Zunächst war nicht eine Schwester zu sehen, doch dann waren alle da, eine große Versammlung rund um einen auf der einzigen ausreichend großen freien Flache des Lagers errichteten Pavillon, die von den Schwestern genutzt wurde, um zu den Taubenschlägen in Salidar zu gleiten und mit den Berichten der Augen-und-Ohren zurückzureisen. Das große, häufig geflickte schwere Segeltuch war nicht leicht zu errichten gewesen. Der Saal war in den vergangenen zwei Monaten sehr häufig ähnlich wie am gestrigen Morgen zusammengetroffen oder hatte sich in eines der größeren Zelte gedrängt. Der Pavillon war erst zweimal errichtet worden, seit sie Salidar verlassen hatten. Beide Male für eine Gerichtsverhandlung.
Als die Schwestern Egwene und Sheriam herannahen sahen, flüsterten jene im Hintergrund mit den vorderen, und es bildete sich eine Gasse, um sie hindurchzulassen. Ausdruckslose Augen beobachteten die beiden, ohne einen Hinweis darauf zu geben, ob die Schwestern wußten oder auch nur erahnten, was geschehen würde. Ohne einen Hinweis darauf, was sie dachten. Schmetterlinge flatterten in Egwenes Bauch. Eine Rosenknospe. Ruhig.
Sie betrat die ausgelegten Teppiche mit bunten Blumen und einem Dutzend weiteren Mustern und schritt zwischen dem Kreis der aufgestellten Kohlepfannen hindurch. Sheriam ergriff das Wort. »Sie kommt. Sie kommt...« Es war kaum verwunderlich, wenn sie etwas weniger eindrucksvoll klang als gewöhnlich, ein wenig nervös.
Die polierten Bänke und die mit Tüchern abgedeckten Podeste vom See waren erneut aufgestellt. Sie bildeten einen weitaus formelleren Anblick als das nicht zueinander passende Gewirr von Stühlen, das bisher verwendet worden war. Grüne, Graue und Gelbe auf einer Seite, Weiße, Braune und Blaue auf der anderen.
Am entgegengesetzten Ende, am weitesten von Egwene entfernt, stand das gestreifte Podest und die Bank für den Amyrlin-Sitz. Wenn sie dort säße, wäre sie Mittelpunkt aller und sich sehr wohl der Tatsache bewußt, daß sie allein achtzehn Schwestern gegenüberstand. Es war gut, daß sie ihre Kleidung noch nicht gewechselt hatte. Alle Sitzenden trugen noch immer ihren Prunk vom See, nur zusätzlich ihre Stola. Eine Rosenknospe. Ruhig.
Einer der Plätze war unbesetzt, wenn auch nur noch kurze Zeit. Delana lief in dem Moment herbei, als Sheriam ihre Litanei beendet hatte. Die Graue Schwester wirkte atemlos und aufgeregt und nahm unbeholfen ihren Platz zwischen Varilin und Kwamesa ein. Sie lächelte kläglich und spielte nervös mit den Feuertropfen um ihren Hals. Jedermann hätte denken können, sie solle verurteilt werden. Ruhig. Niemand wurde verurteilt. Noch
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