Neue Leben: Roman (German Edition)
man im Pflegeheim. Der Resi-Oberleutnant, der den KC über Weihnachten vertrat, hatte sich dazugestellt – mehrstimmiger Gesang. Dann war er mit ihnen abgezogen, einfach mitgegangen, wie zum Biertrinken, und der UvD war fort zum Essen, und der GUvD , Daumenund Mittelfinger in den Mundwinkeln, hatte gepfiffen, ein privater Pfiff sozusagen. Und dann hatte er das Radio laut gestellt, irgendein Westsender, und das hatte sie in Stimmung gebracht – Ich möchte ein Eisbär sein, am kalten Polar –, da waren sie dann alle über den glänzenden Flur vor die Tür des Spitzels gezogen und hatten abgewartet, bis das Lied vorbei war.
Edgar hatte gedacht, daß in dem Schweigen, mit dem sie da vor der Tür verharrten, tatsächlich Zustimmung lag. Disziplin, hatte Mehnert verlangt. Es war ein Sieg der Disziplin gewesen, die ganze Kompanie schweigend vor der Tür zu versammeln.
»Der fängt doch nur zu flennen an, mehr kommt da nicht, wirst sehen.«
»Wird schon was kommen. Was denkste, was da alles kommen wird.«
Edgar machte weiter, noch gleichmäßiger, noch rhythmischer, wie er fand. Wie ein Musiker konnte Edgar die Augen schließen, konzentriert allein auf das Rauschen der mit Metallplatten beschwerten Bürste und auf das klackende Geräusch beim Richtungswechsel. Seine Arme wußten, sein ganzer Körper wußte, wann er die Bürste abzubremsen hatte, damit sie nicht gegen die Wand knallte. Sooft die Bohnerkeule mit einer Ecke anstieß, gab es Löcher, aus denen der Putz rieselte, der dann zusammen mit dem Bohnerwachs gleichmäßig verteilt wurde. Edgar störte nur, daß er an Pitts blöden Spruch vom Keulen und von den Bauchmuskeln und vom Vögeln denken mußte.
Der Spitzel trug als Waffe das Maschinengewehr. Edgar hätte gern mit ihm getauscht, obwohl das MG schwerer war. Doch die Panzerfaust sah aus wie ein Fagott oder so ähnlich. Er fand es immer lächerlich, mit so einem Instrument über der Schulter durch den Sand zu kriechen, auch wenn er als einziger mit einem Panzer fertig werden würde. So hieß es zumindest. Im SPW saßen sie nebeneinander auf der Bank hinter dem Richtschützen.Dort konnten sie die Beine ausstrecken oder sich abwechselnd auf den Boden legen. Aber Edgar war auf einer anderen Stube. Sonst stünde wahrscheinlich er anstelle der Spitzelopfer Teichmann und Bär, um zu bezeugen: Ja, das habe ich gesagt, ja, das habe ich gesagt, so regelmäßig, daß Edgar drei Bewegungen mit der Bohnerkeule reichten, hin, her, hin – ja, das habe ich gesagt, dreimal die Breite des Flurs, klack, klack, klack – ja, das habe ich gesagt. Wort für Wort hatte der Spitzel alles mitgeschrieben. Und Mehnert hatte den Beweis in der Hand, Soldat Mehnert, Vize, Fahrer, Stubenältester.
Teichmann, den man wegen seines schwerfälligen Ganges und seiner grauen Haare für einen Resi hielt, wollte mit diesem Zirkus nichts zu tun haben. Bär ist da anders. Bär findet gut, was Mehnert macht. Aber zuschlagen wollte auch Bär nicht, jedenfalls stand das nicht im Plan.
»Keiner hat was von ›Rührn‹ gesagt. Hat jemand ›Rührn‹ befohlen?«
»Mann, Spitzel, das ist ’ne Frage, hat jemand ›Rührt euch!‹ befohlen?«
[Brief vom 4. 4. 90]
Sie hatten dem Spitzel die Beine weggeschlagen.
Edgar schob die Bohnerkeule dicht an den ersten Stiefeln und Hausschuhen vorbei, und Frank, der Richtschütze aus seiner Gruppe, der immer sagte, daß er das große Los gezogen habe, weil er beim Angriff nicht hinaus und über den Acker zu rennen brauchte, bot Edgar seinen Hocker an. »Der will es doch so, der provoziert ja noch«, rief Frank und rannte zur Toilette.
Der Spitzel weiß nichts von dem Plan, und deshalb hat er keine Angst. Und man merkt ja, ob einer Angst hat oder nicht. Da muß man nichts sagen. Da reicht schon ein Blick. So ein Blick ist die schlimmste Provokation. Oder die Bewegung einerHand. Die Hände nämlich sind nicht festgebunden, nur die Handgelenke, auf Kopfhöhe, wo die Querstrebe des oberen Fußendes an den Rahmen stößt. Bär hatte bei der Probe die Hände bewegt, als wollte er winken oder fliegen, jedenfalls war es komisch gewesen, und sogar Mehnert und Pitt hatten gelacht.
Das Klatschen waren Ohrfeigen. Eine Steigerung lag in der Natur der Sache. Füße wegschlagen war kindisch. Traf man die Ferse richtig, lag der andere flach. Aber der Spitzel konnte nicht hinfallen, er war festgebunden. Ohrfeigen taten weh.
»Stopf ihm den Dreck rein!«
»Würg’s runter, Spitzel.«
»Schwanzparade!
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