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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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erklären, warum sie sich nicht habe vorbereiten können. »Soll ich mich damit abspeisen lassen?« unterbrach sie das blonde Gift.
    Titus hoffte, sie würde die Entschuldigung nicht gelten lassen und Martina Bachmann trotzdem prüfen. Aber das blonde Gift drehte sich weg, denn in der mittleren Reihe meldeten sich zwei, und das blonde Gift rief: Sie auch? Aber die beiden wollten drankommen und sprachen so lange, daß sich das blonde Gift an den Lehrertisch setzte, die Arme verschränkte und zufrieden lächelte. Und als sie fertig waren, stellte sie keine Fragen und schrieb ihnen Einsen ins Klassenbuch.
    Jetzt war noch seine Reihe dran. Titus wußte nicht, wohin er blicken sollte, und spürte, wie gleichgültig ihm die letzte Stunde und der Vortrag waren, wenn er nur aus dieser Stunde heil herauskäme. Dann hörte er einen Namen, nicht seinen und nicht den von Joachim. Das blonde Gift hatte Mario aufgerufen, weil sie glaubte, ihrem Mario damit einen Gefallen zu tun. Mario schüttelte den Kopf. »Nächste Stunde wäre mir lieber«, sagte er. Das blonde Gift lächelte. »Schade«, sagte sie. »Jetzt ist es noch einfach, in der nächsten Stunde erwarte ich mehr.« Sie rief Sabine auf, und Sabine begann sofort, und die andere Sabine neben ihr antwortete, und so ging es zwischen den beiden Sabinen hin und her. Jede Reihe hatte nun ihr Opfer gebracht, und Titus glaubte zu wissen, was das blonde Gift im Anschluß sagen würde: Schließt den Mund und öffnet die Bücher. Natürlich würde sie es auf russisch sagen.
    »Tschto?!« kreischte das blonde Gift. »Tschto?« Peter Ullrich und ein paar andere lachten. Nach dem nächsten Satz von der ersten Sabine lachte auch Joachim. Die zweite Sabine antwortete. Das blonde Gift war aufgesprungen. Die erste Sabine bekam rote Wangen und versuchte zu lächeln. »Tschto?« kreischte das blonde Gift auch nach dem nächsten Satz.
    Als Titus endlich begriff, daß Sabine und Sabine in ihrem auswendig gelernten Text um eine Zeile verrutscht waren und Nonsens von sich gegeben hatten, weinte die zweite Sabine bereits.Das blonde Gift verurteilte beide zu einer Vier, aber mit der Möglichkeit, in der nächsten Stunde ihre Noten zu verbessern. Nun brach auch die erste Sabine in Tränen aus.
    »Los«, sagte das blonde Gift und nickte Joachim zu.
    Titus sah, wie Joachim mit den Schultern zuckte und »choroscho« sagte. Und dann tat er, als hebe er etwas auf den Tisch, griff nach dem unsichtbaren Hörer und bewegte seinen rechten Zeigefinger im Kreis. Er wählte und lehnte sich anschließend zurück. Titus wurde übel. Joachim machte »Klingelingeling«. Titus tat, als nehme auch er den Hörer ab, jemand lachte. Titus wartete einen Moment, dann sagte er: »Allo?« Alles lag in Gottes Hand.
    »Sdejs goworit Joachim, sdrastwuitje!«
    »Sdejs goworit Titus, sdrastwuitje.« Titus hielt seine rechte Hand ans Ohr, stützte sich auf den Ellbogen und starrte auf die Tischplatte.
    »Fsjo choroscho?«
    »Fsjo choroscho«, wiederholte Titus.
    »Ja chotschu priglassit tebja …« Was folgte, blieb unverständlich.
    »Oh, spassibo«, sagte Titus, und dann geriet ihm ein Wort in den Mund, das er noch nie ausgesprochen hatte. »Otlitschno!« rief er in den Hörer. Es war ihm so selbstverständlich über die Lippen gekommen, daß er es gleich noch einmal wiederholte. »Otlitschno!«
    Das blonde Gift stieß einen spitzen Laut aus.
    Titus verstand Joachims Antwort nicht, da er aber keine Zeitangabe gehört hatte, fragte er nur: »A kogda?«
    Joachim machte mehrere Vorschläge und endete mit der Frage: »Eto udobno?«
    Titus wiederholte es, ohne die Bedeutung zu wissen: »Da, eto udobno.«
    Joachim redete weiter. Als Titus wieder an der Reihe war, sagte er nur: »Ponimaju. A tschto ty chotschesch?« Das ging immer.
    »Tschto ja chotschu?« fragte Joachim.
    »Da«, sagte Titus schnell.
    Joachim sprach von Büchern, Schallplatten, Theater und sagte irgendwas über Fußball, woraufhin wieder einige lachten.
    »Mui idjom f teatr«, antwortete Titus, als müßte er für Ordnung sorgen.
    Joachim ließ einen weiteren langen Satz folgen, den Titus nicht verstand. Titus beharrte auf seiner Meinung: »Mui idjom f teatr.« Joachim mimte Aufgeregtheit. Offenbar wollte er nicht ins Theater. Titus spürte um sich herum die Bereitschaft zum Lachen.
    »Kak ty chotschesch. A ja chotschu kuschat tort.«
    Joachim mußte einen Moment warten, bis sich die Klasse wieder beruhigt hatte. »Do swidanija«, sagte Joachim.
    »Fsjo

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