Neue Leben: Roman (German Edition)
zumindest für so poetische Seelen, wie ich sie kenne, allen voran Johann. Er giert regelrecht danach, von rätselhaften und undurchsichtigen Gestalten zu hören, die überall ihre Finger im Spiel haben und dabei erfolgreich sind, geschäftlich und bei den Frauen. […] Und wenn ich Barrista mal kurz hinken lasse, dann findet Johann ihn gleich diabolisch und spricht von dessen »dunklem Glanz«.
Selbst Michaela konnte nicht verbergen, daß ihr Ausfall gegen Barrista nur die Kehrseite ihrer Neugier war, ja daß sie darauf brannte, ihm vorgestellt zu werden. Ich hatte dann mein Vergnügen daran zu sehen, wie schnell Barrista sie für sich gewann.
Noch vor dem Handkuß (er sollte wenig später von ihren Händen schwärmen), noch bevor ihr der Ehrenplatz am Tisch zuteil geworden war, quasi mit dem Eintritt ins Restaurant, hatten die beiden ihr Spiel begonnen. Auch er weiß vor Publikum zu agieren, ohne es eines Blickes zu würdigen.
Der Baron überreichte uns etwas, das er Menükarte nannte und auf die er mit erhabener Goldschrift hatte drucken lassen: »Zu Ehren der Wiedergeburt des ›Altenburger Wochenblattes‹ und zu Ehren von Michaela Fürst und Marion Schröder«. Im Inneren waren sechs Gänge aufgezählt, links französisch, rechts in deutscher Übersetzung – so was macht Eindruck.
Ob das nicht übertrieben sei, fragte Michaela schroff, um sofort kundzutun, wie gern sie die Einladung annehme. Zuvor jedoch wolle sie nicht versäumen, ihm für die herrlichen Blumen zu danken, die in ihrer Art ebenso verführerisch seien wie die Namen dieser geheimnisvollen Gerichte.
Marion war aufgefahren, auch sie habe sich noch gar nicht für das größte Alpenveilchen Altenburgs bedankt.
»In Sachen Blumen«, resümierte Michaela, »kann dem Herrn von Barrista wohl niemand das Wasser reichen.« Es berührte mich seltsam, aus ihrem Mund seinen Namen zu hören. Von da an war eigentlich alles klar.
Während der Hauptgänge unterhielt er uns mit Reiseberichten. Im Herbst fliege er immer in die USA , an die Ostküste zum Lobsteressen. Er beschrieb uns die Lokale, die kleinen Häfen, die Landschaften und Lichtstimmungen, die Kürbisse auf den Feldern, das rote Laub … Seine Erzählung war ebenso bildhaft wie heiter und floß, von keiner Frage unterbrochen, unaufhörlich dahin wie eine Tafelmusik, in die gehüllt ich mich meinen Träumen von Dir hingab.
Als wir aufstanden und der Baron mir die Hand auf die Schulter legte – das Restaurant war längst geschlossen, mandeckte bereits fürs Frühstück –, fragte er, ob es uns recht sei, diesen außerordentlichen Abend mit einem Cocktail ausklingen zu lassen. Die Bar sei nicht viel wert, aber in den vergangenen Wochen habe er Aufbauarbeit geleistet. Er würde sich glücklich schätzen, den Shaker für uns zu schwingen. »Warum nicht?« sagte Michaela wie aus der Pistole geschossen.
»Well, das ist ein Wort!« triumphierte der Baron. Untergehakt geriet ich an einen Tisch in der Bar, der gerade abgeräumt wurde.
In den folgenden Minuten widmete sich mir der Baron geradezu inbrünstig. Mehr als an das Gesagte erinnere ich mich an den melodiösen Klang seiner Sätze, der angenehm war, fast zärtlich. Ja, er umwarb mich förmlich. Und ich begriff: Er ist gar nicht so alt, wie er aussieht, er ist viel jünger!
Als ich erwachte, prusteten und kicherten Michaela und der Baron. Bis auf ein paar Kellnerinnen und einen spindeldürren Mann am Nebentisch, der sich über leere Gläser beugte, waren wir allein.
»Wir sprachen gerade vom Theater«, sagte er, als wäre ich nur kurz auf der Toilette gewesen. Eine Hand auf meinem Knie, lehnte er sich zu mir herüber. Ich roch sein eigenwilliges Parfüm. Es war fünf Uhr, für mich schon relativ spät. 164
Er nötigte uns in seinen Wagen. Michaela plapperte und kicherte vor sich hin. Während der Fahrt versuchte ich von hinten ihren Kopf zu halten, der in den Kurven von der Kopfstütze rutschte.
Beim Aussteigen sank sie mir in die Arme. Ich kam mir vor wie ein Lakai.
Kaum in der Wohnung, brachte die Übelkeit sie wieder zu Bewußtsein. Ich mußte ihr die Stirn über der Kloschüssel stützen, so schwach war sie.
»Bist du eifersüchtig?« fragte sie und meinte, mir dabei ganz besonders bedeutungsvoll in die Augen blicken zu müssen. Ich bat sie, sich nicht auf ihr Kleid zu knien, und versuchte, ihr den Mantel auszuziehen. Sie griff in die Manteltasche und hielt ein Kuvert hoch. »So viel ist mein Name wert«, rief sie, »tausend De-eM!«
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