Neue Leben: Roman (German Edition)
Das bekomme sie jetzt monatlich, als Geschäftsführerin von Fürst & Fürst Immobilien.
Als wir später nachzählten und ich sie fragte, ob sie wisse, worauf sie sich da einlasse, sagte Michaela: Sie vertraue
mir
,
ich
hätte sie schließlich mitgenommen, er sei
mein
Freund, nur
deshalb
habe sie eingewilligt, um wenig später hinzuzufügen: »Er ist so häßlich! Ist er nicht unglaublich häßlich?«
Findest Du ihn auch häßlich?
Ich küsse Dich
Dein Heinrich
[Nachfolgende handschriftliche Zeilen stehen auf einem neuen Blatt und sind undatiert. Da der vorangegangene Brief frühmorgens, unmittelbar nach der Rückkehr aus dem »Wenzel«, geschrieben wurde, ist auch hier der 12. 4. als Datum anzunehmen. Sie kamen als ein Fax – Auskunft V. T.]
Michaela hatte heute vormittag eine Fehlgeburt. Sie ist gleich ins Krankenhaus, ich erfuhr es erst ein paar Stunden später. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte nie davon gehört, aber das ist natürlich Unsinn. Ich fühle mich schuldig, weil ich sie in den »Wenzel« geschleppt habe. Ich verstehe nicht, daß Michaela nichts gespürt hat – sie hätte es doch wissen müssen! Es kann nur in Offenburg gewesen sein, nur dort!
Michaela möchte nicht einmal getröstet werden und ist sehr gefaßt. Zartfühlenderweise hatte man sie in ein Zimmer mit drei Frauen gesteckt, die eine Schwangerschaftsunterbrechung hatten, es habe keine anderen freien Betten mehr gegeben.
In gewisser Weise sind wir beide dankbar, daß uns die Entscheidung abgenommen wurde. Deshalb reden wir nicht darüber. Am traurigsten scheint Robert zu sein.
Verotschka, Schwesterchen!
H.
Karfreitag, 13. 4. 90
Lieber Jo!
Freitag, der Dreizehnte. Ich sitze hier im Bademantel, trinke Kaffee und genieße die Stille. Ich weiß gar nicht, was ich Dir zuletzt geschrieben habe. 165
Am Mittwoch hatte uns der Baron mal wieder eingeladen. Zu feiern gab es ja einiges, das Haus, meinen neuen Posten, Barristas Immobilienfirma.
Kaum waren wir eingetreten, hatte er Michaela erspäht und ließ sie nicht mehr aus den Augen. Ich glaube sogar, er war überrascht, mich plötzlich hinter ihr zu sehen.
Marion, die extra beim Friseur gewesen war, wirkte mit ihren kurzen Haaren strenger. Sie war stark geschminkt und trug ein mattrotes Kleid, das unter den Armen spannte. Auch Jörg wirkte in seinem grauen, etwas zu großen Anzug fremd.
Barrista, in bester Stimmung, räumte für Michaela die Stirnseite, bat Jörg, einen Stuhl weiter zu rücken, und setzte sich auf dessen Platz. Mich dirigierte er neben Marion, die Michaela bereits Komplimente machte. Der untere Teil des Tisches blieb leer.
Es waren immer zwei oder drei Kellner gleichzeitig mit uns beschäftigt, junge Kerle, die mit den Tabletts auf der Schulter durch den Saal marschierten und die, wenn sie in atemberaubendem Tempo die Teller auftrugen, im gleichen Schwung und wie auf Kommando die halbrunden Silberabdeckungen entfernten. Einer von ihnen nannte darauf feierlich den Namen des Gerichts.
Zweimal, ohne Rücksicht auf die anderen Gäste, wurde das Licht gelöscht. Mal tanzten Flammen auf den Schultern unserer Kellner, mal versprühten Wunderkerzen Funken, mal krachte ein Tischfeuerwerk. Es hätte nicht spektakulärer sein können. Michaela applaudierte jedesmal wie ein Kind.
Kaum hatten wir einen Schluck getrunken, schenkte uns der Baron nach. Er war mit sich und der Welt zufrieden und führte das Gespräch am sicheren Zügel.
Er entdeckte uns ein paar seiner Gewohnheiten. Er schlafe bis neun, unternehme dem Wolf zuliebe lange Spaziergänge und verbringe mehrere Stunden im Archiv, um sich danach mit einer Stunde im Museum zu belohnen. Zwar habe der Erbprinz, sooft sie über seine Visite gesprochen hatten, auf einen Museumsbesuch gedrungen, ihm, dem Baron, jedoch keine wirkliche Vorstellung vermitteln können, was ihm da bisher entgangen sei – nicht weniger als der Schlüssel zum Glück! Uns müsse man eigentlich an den Ohren ziehen. Warum wir ihn nicht gleich am ersten Tag an der Hand genommen und ins Museum geführt hätten, damit wäre ihm manch trübe Stunde erspart geblieben, die er ratlos über das Schicksal der Stadt gegrübelt habe. »Sie haben hier«, sagte er, »einen kleinen Louvre, wissen Sie das denn nicht?« Und schon sprach er wieder über die Madonna, die sich bei ihm langsam zur fixen Idee auswächst.
Wie um uns weitere Vorwürfe zu ersparen, begann Jörg, von Nietzsches Vater zu erzählen, der hier auf dem Schloß
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