Neue Leben: Roman (German Edition)
mich bei der Eröffnung der Ausstellung vermißt, im Lindenau-Museum. So viel Lokalprominenz! Beziehungspflege nenne man das.
»Und? Haben die recht?« fragte er, nachdem ich ihm mein Herz ausgeschüttet hatte, und beruhigte mich gleich. Wer so etwas mit der Post schicke, sei sowieso nicht ernst zu nehmen. Ob wir nicht trotzdem reagieren müßten, fragte ich.
»Ja«, sagte er, »indem Sie den Wisch zerreißen und vergessen. Wer sagt denn, daß Sie ihn überhaupt bekommen haben?« Ob es nicht eine andere Lösung gebe.
»Wenn Sie möchten«, sagte er, »kümmere ich mich darum.« Genau das hatte ich hören wollen.
»Aber das kostet immer Geld, so ein Briefkopf kostet leider verdammt viel richtiges Geld.«
Ich fragte ihn nach dem zweiten Teil, ob wir den drucken sollten oder nicht. »Natürlich«, sagte er, »wenn er gut ist, sonst nicht.«
Nun haben wir eine kleine Skandalnummer, denn Jörgs Artikel über den Lehrer Offermann steht auf Seite 3. Wenn wir untergehen, dann mit fliegenden Fahnen!
Sei umarmt, E.
Gründonnerstag, 12. 4. 90
Verotschka, 159
ich beruhige Mamus alle paar Tage. Selbst bei hundert Toten liegt die Chance, daß Dir nichts passiert, bei 99,99 Prozent. Mamus kommt über Ostern.
Wenn der Telephonanschluß im neuen Haus installiert ist, brauchen wir keine Rücksicht mehr zu nehmen. 160 Merkwürdigerweise fällt es mir schwer, den Apparat zurückzulassen! Ich habe so viele Stunden mit ihm zugebracht, so viel gehofft! Die Wählscheibe, diese Spiralschnur, sogar der Hörer gehören schon zu Deiner Stimme, Deinem Atem, zu allem, was Du und ich gesagt haben.
Verotschka, nicht mehr lang, und ich werde Dir die Welt zu Füßen legen! Wenigstens ein kleines Stückchen davon. Dein Freund, der Baron, hat ein paar Andeutungen gemacht, und ichbin darauf eingegangen, gut möglich, daß wir, Du und ich, bald auf Reisen gehen. Ich will es noch nicht verraten, es klingt aberwitzig und verrückt, aber ich habe gelernt, gerade deshalb daran zu glauben. Du siehst ja, wie alles sich fügt!
Ich bin Dir so dankbar, daß Du an Robert gedacht hast. Er trägt die Jacke draußen und drinnen, nachts hängt sie an seinem Bettgestell.
Michaela schrieb seinen »phantasielosen« Geldwunsch meinem Einfluß zu. Was soll sich Robert denn wünschen? Er weiß ja, daß er sich in ein paar Monaten ganz andere Wünsche erfüllen kann.
Vor ein paar Tagen hat Michaela mir gestanden, daß sie einen Brief von Roberts Vater mit sich herumträgt. Sie hatte die Schrift auf dem Kuvert erkannt.
Ich bin ihm nur einmal begegnet, das heißt, ich habe ihn im Theater gesehen, als er sich
seine
Weihnachtspyramide und
seinen
alten Kerzenleuchter abholte. Ich begriff damals nicht, wie Michaela auf so einen hatte hereinfallen können. Diese Inkarnation des Möchtegernkünstlers (grauer Pferdeschwanz, Protzring, Stoppelbart). Ständig sprach er von Pablo oder Rainer oder Hanna 161 , und wenn jemand nachfragte, fühlte er sich im Namen seiner Götter beleidigt. Robert saß bis zehn, elf abends in der Kantine des Theaters 162 und wartete, bis Michaela abgeschminkt war. Der Vater hatte nie Zeit für ihn, weil er gerade wieder seinen Inspirationen nachspürte oder Abiturientinnen ausführte. Trotzdem hat Robert sehr an ihm gehangen.
Jetzt wollte Robert den Brief gar nicht lesen. Dann hat er seinen Vater beschimpft und geweint. Irgendwann aber wird er zuihm fahren. Und ich muß es geschehen lassen oder ihn gar dazu ermuntern.
Gestern hat mich Michaela in den »Wenzel« begleitet. Wir sind erst vorhin zurückgekommen.
Auf der Hinfahrt behauptete sie noch, die halbe Stadt mache sich schon über Barrista lustig, ich solle Robert vor ihm schützen. Euphemistisch ausgedrückt sei mein Adliger ein übereifriger und lächerlicher Kauz, der vor lauter Ambitionen in seinen albernen Stiefeln kaum laufen könne.
Von Nicoletta (klein, brünett, mit kornblumenblauen Augen und einer unvorteilhaften, aber teuren Brille, sie weiß alles, kann alles, macht alles, aber im Grunde ist sie hilfloser als ein Kind, immer voller Angst, etwas zu verpassen, und dankbar, wenn sie überhaupt einen »Job« bekommt; sie erhofft sich dank des Lindenau-Museums eine kunsthistorische Karriere 163 ) – von Nicoletta weiß ich, daß er irgendwie Dreck am Stecken haben muß, jedenfalls darf er nicht mehr selbst Geschäfte machen und bedient sich deshalb eines ganzen Netzes von Strohmännern. Wußtest du davon? Aber dieser Makel erhöht nur seine Attraktivität,
Weitere Kostenlose Bücher