Neue Zeit und Welt
mühsamer das Fliegen. Nur sechs, sieben Meter über der Flut flatternd, konnte er spüren, wie seine Flügel erlahmten.
»Ich kann nicht mehr!« schrie er. Er verlor weiter an Höhe. Vier Meter über den stürzenden Wellen peitschte das Sprühwasser ihre Gesichter mit Nadeln.
Josh sah sich verzweifelt nach dem losgerissenen Floß um; es tanzte leer in der Ferne, zu weit von ihnen, um in dieser gigantischen Strömung erreichbar zu sein. Isis hing wie ein nasser Lappen an ihm, vor Entsetzen außer sich. Jasmine suchte nach Treibgut, an das man sich klammern konnte, und Rose hatte nur den einen Gedanken, nämlich, wie gut es war, dass Beauty nicht bei ihnen weilte, dass er sicher und geborgen in einer Eishöhle lag.
Ollie war vor Wut außer sich. Nach allem, was er durchgemacht hatte – überleben, Josh retten, endlich Gefühle spüren –, nach alledem so zu sterben! In einem Sturm, nachdem er jahrelang auf einem Piratenschiff gewesen war, in einem Sturm, den ein verzogenes Kind entfacht hatte. Und Aba mit sich hinunterzureißen, der ihm die Augen für Sanftmut und Liebe und ruhige Vernunft geöffnet hatte – Nein! Das durfte nicht sein. Er wollte nicht so sterben. Nach allem konnte er nur auf eine Weise sterben, die seinen Bruder Joshua rettete, der einst alles gegeben hatte, um ihn zu retten, und seine Schuld an Aba würde er damit auch zurückerstatten können – dem Dichter-Vampir, der erneut bereit war, sein Leben zu geben, um dieses klägliche Häufchen Mensch zu retten.
Und war nicht irgendwo in der Nähe ein Floß?
Mit diesem Gedanken riss er sich los, berührte die große, leere Narbe an seiner Brust und sprang hinab in die tobende See. Er wurde rasch hinuntergerissen und verschwand.
Aba konnte nun, da die Last leichter geworden war, höher steigen, und mit der Hoffnung gewannen seine Flügel neue Kraft. Er schwebte zuerst nur langsam hinauf, aber als die Winde nachließen, ging es schneller. Bald war er hoch genug, um zu gleiten, und brauchte nur noch ab und zu einen Flügelschlag zu tun.
Er kreiste eine halbe Stunde und suchte nach Ollie, nach Phé und nach Paula. Schließlich gab er es schweren Herzens auf und flog nach Osten, in die aufgehende Sonne hinein.
Kapitel 21
Der Garten
W ochenlang gab es noch große und kleine Nachwirkungen. Schließlich fand die Flut einen neuen Pegel, nachdem sie die alte Küste verschlungen hatte. Das Wetter beruhigte sich erst im Verlauf von Monaten, aber schon bald wurde die Luft rein und frisch, und alles sah nach neuem Anfang aus.
Aba war nachts auf hochgelegenem Gelände gelandet, mit Blick auf den Südostteil des einstigen Terrariums, aber die ganze Landmasse hatte sich während der Umwälzung so verändert, dass niemand genau sagen konnte, wo sie eigentlich waren. Die fünf – Aba, Josh, Jasmine, Rose und Isis – schliefen zwei Tage lang, ohne sich zu rühren. Dann reckten sie sich, atmeten tief und schauten sich um.
Ihr neues Reich war ein exotischer Garten. Fremdartige, wohlriechende Blüten hüllten vom Sturm gebeugte Bäume ein oder waren im dichten Gras verstreut. Fruchtranken wanden sich um bemooste Stümpfe voll süßer tropfender Kügelchen in leuchtenden Farben. Es gab hohe Farne und Nussbäume, einen Bach, der durch eine nahe, dunstige Lichtung floss. Teich, Hügel, Gemüsepflanzen von seltsamem Aussehen, dicke Knollen, vielblättrige Wedel. Die Flora hier bestand zum größten Teil aus Gewächsen, die noch niemand je zuvor erblickt hatte. Und alles schien ganz neu und frisch zu sein.
»Ein Garten irdischer Freuden«, sagte Jasmine. Diese Wendung der Ereignisse war für sie unergründlich, schien gleichzeitig aber auch unausweichlich gewesen zu sein. Sie nahm sie hin mit dem Gleichmut, den sie im Lauf von zwei Jahrhunderten erworben hatte, wohl wissend, dass sie noch jahrhundertelang darüber nachsinnieren würde.
Auch fremdartige, unbestimmbare Tiere streiften hier umher – Wesen, bislang unbekannt. Sie schienen zum größten Teil ihre Umwelt noch mit Unsicherheit zu betrachten und ließen Joshua und die anderen in Ruhe, so dass diese sich alles genau ansehen und nachts traumlos schlafen konnten.
Manche der neuen Tiere wirkten aber erschreckend und gefährdeten das Dasein.
Josh kam eines Tages schwitzend ins Lager gestürmt und zischte: »Lauft! Versteckt euch, schnell!«
Hinter ihm hörte man Hufgetrappel.
Gerade als sie sich in einer Senke hinter einem riesigen, umgestürzten Baum versteckt hatten, rasten die bizarren
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