Neues Glück für Gisela
immer Kartoffeln und Gemüse da sind. Ihr müßt die Fußböden aufwischen und die Möbel abstauben, damit es in den Schlafsälen und im Waschraum ordentlich aussieht. Denkt daran, daß Schwester Ruth nicht nur die Kleinkinder, sondern auch zwei Patienten zu versorgen hat. Und ich muß organisieren, Einkäufe machen und dergleichen. Was meint ihr dazu?“
„Wir müssen uns in die Arbeit teilen, so gut es geht“, sagte Jörgen. „Ja, das müssen wir also. Jörgen, dir gebe ich den Auftrag, einen Arbeitsplan auszuarbeiten. Ihr müßt euch in der Arbeit abwechseln, so daß sie möglicherweise gerecht verteilt wird. Kannst du mir bis heute abend einen Vorschlag bringen?“
„Ja klar, geht in Ordnung.“
Kein murrendes Wort von den Jungen. Nach Tisch hörte Gisela, wie die Diskussion in vollem Gange war, und merkte, wie sich Jörgen Notizen machte. Sie lächelte. Prima Jungens waren sie!
Sie schaute zu Willi hinein. Er war über seinem Buch eingeschlafen. Gott sei Dank, daß es ihm besser ging. Gott sei Dank, daß sie im Zeitalter des Penicillins lebten.
Gisela setzte sich an seinen Schreibtisch. Sie wollte einen Speisezettel für die kommende Woche aufstellen.
Sie schuf Platz auf dem Tisch, räumte einige Papiere zur Seite. Willi hatte offenbar an dem Tag, als er krank wurde, die Post nicht mehr erledigen können. Gisela warf einen Blick auf ein paar Briefe. Sie waren in Maschinenschrift und an das „Knabenheim Siebeneichen“ adressiert. Also nichts Persönliches, sie konnte sie ruhig lesen. Da war ein Angebot auf getrocknetes Obst. Na, das konnte warten. Hier ein paar Rechnungen und ein Brief einer Maschinenfirma. Gisela sah ihn flüchtig an. Ein junger Mann namens Haakon Svendsen bewarb sich um einen Platz in der Firma. Er gab an, in Siebeneichen aufgewachsen zu sein, und so wollte man also Auskunft über ihn einholen.
Nun, das war eine einfache Sache, damit brauchte sie Willi nicht zu behelligen. Sie konnte einfach das Protokoll nachschlagen. Sie würde das morgen tun, jetzt galt es, das Programm für diese Woche mit all den Feiertagen auszuarbeiten.
Und Gisela vertiefte sich in Berechnungen und Speisefolgen, die gut, nahrhaft und billig sein sollten. Während sie mit gerunzelten Brauen nachdachte, überkam sie eine tiefe beseligende Freude, an Willis Schreibtisch zu sitzen und seine Arbeit zu tun.
Hier gehörte sie her, nur hier, sonst auf keinen Fleck der Erde.
Am nächsten Morgen waren die Jungen schon in vollem Schwung, ehe sie sich’s versah. Sie deckten den Frühstückstisch und wuschen nachher auf. Im Schlafsaal wurde gelüftet, der Boden aufgewischt. Und eins, zwei, drei war alles erledigt, und sie konnten sich draußen in der Sonne tummeln.
Rolf wischte Staub. Er war nun viel besser zu Fuß in den orthopädischen Stiefeln. In dem einen war eine solide Stütze eingebaut.
„Ich werde jetzt fast nicht mehr müde“, sagte Rolf. Und dies, daß er nun nicht mehr ermüdete, veränderte den ganzen Jungen. Sein Gesicht war runder und froher geworden.
So, nun hatte Gisela eine Stunde für sich, ehe sie an das Mittagessen zu denken brauchte. Jetzt konnte sie ja schnell den gestrigen Brief beantworten.
Haakon Svendsen, zweiundzwanzig Jahre alt. War auf Siebeneichen von zwei bis sechzehn Jahren, nun, es war keine Kunst, das richtige Protokoll zu finden, das alte, dicke, das auf dem Rücken die Jahreszahl 1940 bis 1955 trug.
Sie schlug das Protokoll hinten auf, wo ein alphabetisches Namensverzeichnis stand. „Samuelsen, Sivertsen, Solberg, Stranden.“
Sie hielt inne. Ihre Augen weiteten sich.
Stranden…
Ja, da stand es, mit klarer, deutlicher Schrift.
Stranden, Willi, Seite 20.
Gisela schluckte, schloß die Augen, versuchte sich zu fassen. Dann schlug sie mit bebenden Hände Seite 20 auf.
Eine Weile später saß Gisela still da, ganz still, die Hände über das alte Protokoll gefaltet. Tränen rannen ihr aus den Augen.
Es erfüllte sie ein tiefes, intensives Glücksgefühl und ein tiefes, intensives Mitleid. Alles war ihr auf einmal klargeworden. Und jetzt sollte auch alles gut werden.
Lieber, lieber Willi…
„Gisela, bist du da drin?“
Sie hörte seine Stimme durch die Tür, stand auf und ging zu ihm hinein. „Willst du mir ein Glas Wasser geben, Gisela? Du wirst ja so rasend, wenn ich versuche, selbst aufzustehen.“
Sie lächelte. Ohne ein Wort nahm sie das Wasserglas und füllte es. Als sie zurückkam, sah sie Willi fragend an.
„Aber, Gisela, ich glaube gar, du hast
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