Neues Glück für Gisela
umgehen muß.
Im Januar setzte schlechtes Wetter ein, und da gab es wenig Gelegenheit, die neuen Skier zu gebrauchen, die, ordentlich in Spann gesetzt, in Reihen im Schuppen auf Siebeneichen standen. Dafür hatten sie es im Hause recht gemütlich. Jeden Samstag einen Heimabend mit Vorlesungen, Spielen und anderen Unterhaltungen. Oft mußte Gisela von ihren Reisen erzählen, und da hörten die Großen wie die Kleinen mit offenen Ohren und großen Augen zu.
„Denk mal, soviel reisen können“, sagte Jörgen, der älteste Junge, an einem Abend. Gisela hatte von einer Reise nach Italien erzählt, von Rom und dem Vatikan, Pompeji und Herkulaneum, von Venedig, dem Dogenpalast, den Bleikammern und den Gondeln.
„Es ist nicht unmöglich, daß ihr auch reisen könnt“, sagte Gisela. „Ihr wißt ja, daß Auslandsreisen jetzt nicht mehr eine so große Affäre sind wie früher. Es gibt Tausende von jungen Leuten, die sich da zu helfen wissen. Sie fahren per Rad und finden, daß dies eine sehr vergnügliche Art des Reisens ist. Denkt doch, wieviel mehr sie auf diese Weise erleben, als wenn man bloß bequem in einem Flugzeug sitzt. Und denkt daran, wieviel sie so zu sehen bekommen!“
„Und wie viele Sprachen man da lernt“, schwärmte Jörgen.
„Ja“, sagte Gisela. Sie setzte nach einer Weile hinzu: „Wißt ihr, was ich als das beste an den Reisen junger Leute finde? Daß ihr mit der Jugend anderer Länder bekannt werdet. Ihr bekommt Freunde, lernt euch gegenseitig achten, über Landesgrenzen, Religionen und Hautfarbe hinweg und über alles, was sonst trennend wirken kann. Ihr werdet Kameraden, und sollten dann die Politiker euch für einen Krieg haben wollen, so würdet ihr das unmöglich empfinden. ,Ich kann doch nicht auf meinen Freund George in England schießen oder meinen pfundigen Kameraden Kurt in Deutschland, den netten Jean in Frankreich und den braven Ivan in Rußland.’ Versteht ihr, was ich meine?“ Die Buben nickten.
„Der Gedanke ist so richtig“, sagte Willi, und es lag Wärme in seiner Stimme, „aber der Weg ist noch lang.“
„Unendlich lang“, gab Gisela zu, „aber wir müssen ihn einmal beschreiten. Jedenfalls damit beginnen. Was sagt Laotse? ,Auch die längste Reise begann einmal mit einem Schritt.’“
Dann schlug das Wetter um. Im Februar kam wieder ein kräftiger Schneefall und daraufhin eine Periode mit Sonne und blauem Himmel.
„Jetzt machen wir aber eine kleine Wintervakanz“, sagte der Rektor von Giselas Schule. „Wir haben einen freien Tag vom Januar gut, nehmen wir den vom März auf Vorschuß und haben außerdem den von diesem Monat. Also frei am Donnerstag, Freitag und Samstag. Was meint ihr dazu?“
Im Lehrerzimmer herrschte völlige Einigkeit, und die Freude der Klassen war groß.
An dem gleichen Tag noch zog Gisela nach Siebeneichen. Sie wollte einen Plan verwirklichen und Willi bitten, Rolf mit nach Oslo nehmen zu dürfen. Sie wollte ihm ein Paar erstklassige orthopädische Stiefel verschaffen.
Diesmal gab Willi sein vorbehaltloses Ja.
Die Reise wurde ein großes Erlebnis für Rolf.
Er fuhr das erstemal in seinem Leben eine längere Strecke mit der Bahn. Mit großen, runden Augen starrte er auf jedes Bahnhofsgebäude, auf alles, woran sie vorbeifuhren, und als ihn Gisela zum Abendessen mit in den Speisewagen nahm, war er lange stumm vor Benommenheit.
Als er endlich sprach, kam es wie ein Flüstern: „Denk mal an, daß es möglich ist, an einem so kleinen Tisch zu essen!“
Gegen Abend kamen sie in Oslo an. Gisela hatte in einem kleinen, ruhigen Hotel Zimmer bestellt, aber das Hotel imponierte Rolf mächtig. Die Zimmer waren klein und einfach, aber ganz modern ausgestattet.
Zum erstenmal in seinem Leben ging Rolf in einem Zimmer schlafen, das er ganz allein bewohnte. Er lag mäuschenstill im Bett. Sieh mal an, da war ein Teppich auf dem Fußboden, es gab polierte Möbel aus Birke, einen großen Schrank mit Spiegel, Waschtisch mit kaltem und warmem Wasser, und auf dem Nachttisch stand ein Telefon.
Und da war eine zylindrische milchweiße Nachtlampe über seinem Bett. Rolf kam es vor, als sei er vom höchsten Luxus der Welt umgeben. Es dauerte lange, ehe er sich so weit beruhigt hatte, daß er einschlafen konnte.
Er erwachte zeitig am nächsten Morgen, berauscht von dem Gedanken, was er heute alles erleben würde.
Er fuhr zusammen, als das Telefon auf seinem Nachttisch klingelte. Andächtig nahm er den Hörer ab und sagte fragend: „Ja,
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