Neukölln ist überall (German Edition)
nutzen. Wenn weite Kreise der Linkspolitik schon derart triviale Grundprämissen diskreditieren, dann verwundern Auseinandersetzungen um geringere Angelegenheiten nicht.
Genauso verhält es sich nach meinem Dafürhalten mit den politischen Standards, die hochgehalten werden, um den jeweiligen politischen Gegner aus der Reserve zu locken. Sie heißen doppelte Staatsangehörigkeit und Wahlrecht für alle. Beidem stehe ich ablehnend gegenüber und befinde mich damit im Dissens zur Linie meiner Partei. Die Ideologen sagen, die zum Beginn des Integrationsprozesses dargebotene Staatsangehörigkeit ist ein Vertrauensvorschuss und ein Akt der Willkommenskultur. Die Gesellschaft beweist damit dem Neuankömmling ihre Wertschätzung. Sie bietet von Beginn an alle Rechte wohlfeil, über die ein Mensch bei uns als Staatsbürger verfügt. Der theoretische Überbau für das allgemeine Wahlrecht ist sehr ähnlich. Jeder, der legal im Land lebt, soll auch mitbestimmen. Egal, ob er morgen wieder fort ist.
Das allgemeine, gleiche und freie Wahlrecht ist das höchste Gut eines Bürgers in einer Demokratie. Durch Wahlen werden die Grundzüge und die politische Ausrichtung unserer Gesellschaft bestimmt. Deshalb ist dieses Recht für die gesetzgebenden Körperschaften, also für die Parlamente, auf Staatsbürger, bei uns also Deutsche, und auf der kommunalen Ebene auf EU -Angehörige, also Angehörige des Staatenverbundes, begrenzt.
Staatsbürgerschaft und Wahlrecht auf dem Altar der Beliebigkeit zu opfern halte ich für einen fundamentalen Irrweg. Ich glaube nicht, dass auf diese Weise irgendetwas zum Positiven bewegt werden kann. Stattdessen werden tragende Grundsätze über Bord geworfen.
Deutschland hatte in den letzten Jahren zweifellos einen Negativsaldo beim Bildungsstand der Ein- und Auswanderer. Nicht nur quantitativ, sondern auch substantiell. Die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise in der EU hat jedoch im Moment zu einer Verschiebung geführt. War es bisher so, dass es sich bei denjenigen, die auswandern, zumeist um gut ausgebildete junge Menschen handelte, während es sich bei den Einwanderern vorwiegend eher um Menschen ohne jegliche Schul- und Berufsausbildung handelte, so ist im Zuwandererbereich derzeit ein Trend zu mehr und höher qualifizierten Fachleuten zu verzeichnen. Sie kommen aus Griechenland, Spanien und Italien. Zumindest ist die Gruppe der Einwanderer heterogener geworden. Man kann nicht mehr nur von einer Einwanderung in die Sozialsysteme sprechen.
Beim Fortzug hochqualifizierter junger Leute stehen meist erhoffte Berufs- und Verdienstmöglichkeiten im Vordergrund, die über denen in Deutschland liegen. Teils werden ihre Erwartungen erfüllt, teils nicht. Ein Aspekt, der mir gegenüber immer wieder geäußert wird, ist die Abgabenlast. Es bleibt einfach zu wenig Netto vom Brutto. Der Solidaritätsgedanke und die Ausstattung des Sozialsystems werden eher defensiv aufgenommen. Auch dann, wenn in der eigenen Familie das Sozialsystem durchaus gegenwärtig ist.
Einwanderung vollzog sich in Deutschland im Wesentlichen völlig ungesteuert. Es wurden an der einen oder anderen Stelle, zum Beispiel im Zuwanderungsgesetz, je nach politischer Tagesform mal Erleichterungen oder Erschwernisse geschaffen. Eine konzeptionelle Einwanderungspolitik und eine daraus abgeleitete, systematisch gesteuerte Einwanderung gab es bei uns nie, und es gibt sie bis heute nicht.
In den Jahren 2000/2001 versuchte die von der rot-grünen Bundesregierung eingesetzte Süssmuth-Kommission diesen Mangel zu beseitigen. Das fiel aber auf keinen fruchtbaren Boden. Die CDU / CSU verschloss sich dem Gedanken einer gewollten, konzeptionell strukturierten Einwanderungspolitik. Und so blieb alles beim Alten. In 2010/2011 wurde versucht, die Ergebnisse der Kommission zu reanimieren. Der politische Diskurs scheiterte ohne Ergebnis. So müssen wir weiter mit der Situation leben, dass Länder wie Kanada oder Australien sehr wohl schauen, wer zu ihnen kommt und was derjenige mit- und einbringt, während wir uns nach dem Prinzip der Wundertüte überraschen lassen, welche Inspiration unsere Bevölkerung durch Zuzug von außen erfährt.
Dass in Kanada die Kinder von Einwanderern im Durchschnitt eine erfolgreichere Schulkarriere mit besseren Abschlüssen als die der Einheimischen erzielen, mag auch an einem anderen Schulsystem und anders ausgebildeten Lehrern liegen. Das kann ich nicht beurteilen. Ein Hauptgrund besteht aber mit Sicherheit darin,
Weitere Kostenlose Bücher