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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Buschkowsky
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dass Motorik und Feinmotorik stimuliert werden müssen, all diese Dinge sind völlig unbestritten. Dennoch sind bei uns Kindertagesstätten und Krippen nach wie vor mit einem Stigma versehen. Das hat dazu geführt, dass wir zum Beispiel auf dem Gebiet der Plätze für die unter 3-Jährigen ungefähr auf einer Stufe mit Bulgarien und Griechenland stehen. Führend sind hier natürlich die Skandinavier, aber auch die USA sind weiter. Das Gesetz von 2007, bis zum Jahre 2013 die Krippenplätze auf 35   % Bedarfsdeckung auszubauen, wird unser Ranking zwar verbessern, aber noch lange nicht den Durchbruch bedeuten.
    Ein Jahr vor Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz pfeifen es alle Spatzen von den Dächern: Das Ziel wird verfehlt werden. Zu langsam und zu zögerlich sind Gemeinden und Städte an die Aufgabe herangegangen. Nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil die Finanzierung nicht so reibungslos lief wie versprochen. Auch die Annahme, dass der Bedarf mit 35   % ausreichend gedeckt ist, wird sowohl vom Deutschen Städtetag als auch dem Deutschen Gemeinde- und Städtebund bestritten. Den Anteil der Familien, die auf das Angebot einer Betreuung ihrer Kinder unter dem 3. Lebensjahr angewiesen sind, schätzt man dort auf 60   % bis 65   %.
    Nach all meinen Erfahrungen und den Urteilen der Erzieherinnen, der Lehrerinnen und Lehrer wie der Vertreter der übrigen Professionen, die sich in einem Gebiet wie Neukölln um das Wohlergehen von Kindern kümmern, bin ich zu dem Ergebnis gelangt, dass wir um eine Kindergartenpflicht nicht herumkommen werden. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass der Leidensdruck so zunehmen wird, dass auch die heute bei der etablierten Politik noch bestehenden Hemmnisse werden weichen müssen.
    Ich habe bewusst von den Widerständen der etablierten Politik gesprochen. Mir scheint es, als wäre der Bewusstseinsstand der Eltern viel weiter. Ich bin bei meinen Vorträgen quer durch die Republik noch nicht ein einziges Mal auf formulierten Widerspruch gegen eine Kindergartenpflicht gestoßen. Bei einer Online-Bürgerbefragung »Zukunft durch Bildung – Deutschland will’s wissen« von Roland Berger, der Bertelsmann Stiftung, BILD und Hürriyet mit 480   000 Teilnehmern haben sich 87   % für eine Kindergartenpflicht ausgesprochen. Übrigens, zwei Drittel der teilnehmenden türkischen Migranten haben ebenfalls eine Kindergartenpflicht verlangt. 67   % sind auch dafür, dass die Kindertagesstätten kostenlos sein sollen. Die Umfrage war nicht repräsentativ, weil die Teilnehmer nicht ausgewählt wurden, sondern über ihre Teilnahme im Internet selbst entschieden.
    Im Grundsatz stimmt eine übergroße Mehrheit der Kindergartenpflicht dennoch zu. Einräumen muss ich, dass es zur Frage, ab welchem Lebensalter diese Pflicht gelten soll, unterschiedliche Einschätzungen gibt und dass ich etwa einer Minderheit von 10   % bis 15   % angehöre. Als verschriener Kita-Fanatiker trete ich für eine Besuchspflicht ab dem 13. Lebensmonat ein. Das hat etwas mit den erwähnten Entwicklungsstadien des Kindes zu tun, aber auch mit den generellen Gedanken einer Infrastruktur für Kinder und einer Erwerbstätigkeit der Frauen.
    Ich erinnere an die Ausführungen zur demographischen Entwicklung und der zu geringen Geburtenrate in Deutschland von 1,4. Die Gewissheit, dass nach dem sehr engen Mutter-Kind-Beziehungsjahr der ersten zwölf Monate eine umfassende und gute Betreuung des Kindes zur Verfügung steht, würde mit Sicherheit dazu führen, dass auch beruflich erfolgreiche Frauen sich einen Kinderwunsch erfüllen. Welche Probleme Eltern heute haben, für ihr Kind unter drei einen Platz zu finden, wissen Sie vielleicht aus eigener Erfahrung oder aus Ihrem Bekanntenkreis. Oft scheitert der Versuch völlig. Manchmal hilft noch eine Tagesmutter. Berlin ist eine sehr komfortable Region in Sachen Krippenplatz. Trotzdem benötigen die Menschen mehrere Monate, um ihr Kind unterzubringen. Es ist keine Seltenheit, dass bereits Schwangere sich auf die Warteliste für einen heißumkämpften Kitaplatz im nächsten Jahr setzen lassen. Flexibilität hinsichtlich der Entfernung zur Wohnung oder zum Arbeitsplatz wäre auch nicht schlecht. Die Erwartungshaltung, eine Kindertagesstätte muss direkt vor der Tür sein, wird meist nicht befriedigt. Aus diesem Grund bleiben auch viele Einwandererkinder zu Hause.
    Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die den Nutzen eines möglichst frühen und möglichst langen

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