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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Buschkowsky
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ratlos vor solchen Sprechblasen. Wie soll ich jemanden, der sich verweigert, in die Pflicht nehmen, ohne Sanktionen anzuwenden?
    Warum gilt das, was die Gesellschaft mit mir und Millionen anderer Menschen tagtäglich macht, für Einwanderer plötzlich nicht? Nämlich regelkonformes Verhalten durch die Androhung von Sanktionen zu stimulieren. Unser gesamtes tägliches Leben ist ohne »Wenn-Dann«-Situationen überhaupt nicht denkbar. Wenn du dieses oder jenes tust, dann droht dir Folgendes! Wenn du das und das nicht machst, dann musst du blechen! Selbst wenn mir das Statistische Landesamt einen Fragebogen schickt, wird die Aufforderung mit einer Bußgeldandrohung garniert, nur so für den Fall, dass ich den Bogen nicht zurücksende. Jeder einzelne von uns kann Dutzende von Beispielen aufzählen, bei denen der Staat eine vorgetragene Bitte mit dem Hinweis auf die Gehorsamspflicht beziehungsweise die drohende Sanktionskeule verbindet. Das falsche Abstellen eines Autos ist bei uns geächteter und hat spürbarere Konsequenzen als zum Beispiel die Nichtwahrnehmung der Vorsorgeuntersuchungen U1 bis U9 der Kinder. Letztere trauen wir uns nicht einmal zu Pflichtveranstaltungen für Eltern zu erklären. Die Maßstäbe in unserem Land sind nicht für jeden verständlich. Verstehen Sie sie?
    Lassen Sie mich bei dem Beispiel bleiben. Es wird ein gutes Gesetz im Rahmen des Kinderschutzes erlassen, mit dem die Vorsorgeuntersuchungen zur Pflicht werden. Das Gesetz enthält aber bewusst keine Klausel einer Bußgeldandrohung – mehr käme hier sowieso nicht in Frage –, falls Eltern diese Pflicht verletzen. Also wie immer: Musste nicht machen, passiert sowieso nix . Die Teilnahme am Sprachunterricht für Vorschüler ist erst vor kurzem dem Schulbesuch gleichgestellt worden. Und damit wurde das Nichterscheinen des Sohnes oder der Tochter in den Bußgeldkatalog aufgenommen. Vorher war es auch beliebig. Ich erinnere an meine Ausführungen zu den Eltern, die freiwillig keinerlei Kontakt zum Amt wünschen.
    Schulschwänzen und Sanktionen sind ein wunderbares Thema in diesem Zusammenhang. Wir haben durchaus die theoretische Möglichkeit, nach einer Schulversäumnisanzeige ein Bußgeldverfahren einzuleiten und mit einem Bußgeldbescheid in Höhe von 50 bis 300 Euro abzuschließen. Dann wandert der Vorgang zum Gericht. Ich habe bereits über den Fortschritt berichtet, dass seit einiger Zeit wenigstens die Jugendrichter damit befasst werden und nicht mehr die Verkehrsrichter. Das Ordnungswidrigkeitsverfahren ist jedoch sehr formell, langwierig und kompliziert. Es ist eben ein dem Strafrecht vorgeschaltetes System. Sechs bis zehn Monate gehen da schon ins Land.
    »Kommt das Kind nicht in die Schule, kommt das Kindergeld nicht aufs Konto« wäre einfacher zu handhaben und für jeden verständlich. Es würde sich auch sehr schnell die Erkenntnis durchsetzen, dass das Fernbleiben der Kinder von der Schule teuer wird. Wie die Erfahrungen in den Niederlanden gezeigt haben, kann bereits das bloße Vorhandensein einer Sanktion ausreichen, um eine Verhaltensänderung zu bewirken, so dass von der Sanktion vielfach erst gar nicht Gebrauch gemacht werden muss. Die Befürchtung von Klaus Wowereit, dass die Kinder verhungern würden, wenn Schulschwänzen in die Haushaltskasse einschlägt, halte ich, ehrlich gesagt, für ziemlichen Quatsch.
    Bespielen, bespaßen, alimentieren und über den Kopf streicheln, ist das wirklich eine glaubwürdige und vor allen Dingen effektive Integrationspolitik? Für mich nicht. Für mich ist das nichts anderes als Wegsehen, Beruhigen, Ignoranz und Faulheit. Die Gesellschaft darf nicht nur beobachten, nicht nur reparieren, sie muss auch agieren, intervenieren und vor allen Dingen gestalten. Die Normen gelten für alle. Inländer, hinzugekommene »Inzwischen-Inländer« und Ausländer. Sie sind von allen zu beachten und von der Staatsgewalt durchzusetzen. Eine Gesellschaft, die ihre Normen nicht exekutiert, macht sich nicht nur zum Kasper, sondern darf sich auch nicht wundern, wenn das entstehende Vakuum sofort durch alternative Lebensregeln gefüllt wird.
    Die Demokratie ist eine sehr anstrengende Gesellschaftsform. Sie setzt das aktive Engagement und die Partizipation ihrer Bürger voraus. Das mag für den Einzelnen mühselig sein. Demokratie ist aber nicht gleichzusetzen mit Beliebigkeit. Das wäre bequem und wird daher immer wieder versucht. Natürlich muss der Staat mit seinen demokratisch legitimierten Organen die

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