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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Buschkowsky
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leeren Schulen gibt, müsste in dem anderen Stadtgebiet ein Teil der dortigen Kinder ihre Schulplätze für die Neuköllner freimachen und ihrerseits nach Neukölln gebracht werden. Organisatorisch ist das leistbar, finanziell auch. Ob es sich allerdings auch politisch durchsetzen ließe, da habe ich so meine Bedenken, wenn ich an die gescheiterte Grundschulreform in Hamburg oder meine aus Neukölln weggezogenen Eltern denke. Irgendwie ist die Vision amüsant. Uns entfliehen Eltern, und wir bringen ihre Kinder mit dem Bus wieder nach Neukölln. Ich glaube, so ein Modell umzusetzen ist schwieriger, als die Kindertagesstättenpflicht einzuführen. Trotzdem hält sich der Vorschlag seit vielen Jahren.
    Das Thema Schuluniformen ist ebenso ein Dauerbrenner. Fällt aber in Deutschland in die Kategorie »Man könnte, man sollte, man müsste«. In anderen Ländern klappt das reibungslos, bei uns kommt es in den Schulen über Diskussionsabende nicht hinaus. Wir haben es in Neukölln unseren Schulen freigestellt, Schuluniformen einzuführen. Davon Gebrauch gemacht hat bisher noch keine. Für Zwang mit der Folge endloser Auseinandersetzungen wiederum ist die Frage nicht bedeutend genug. Ich persönlich fände es aber durchaus sinnvoll und identitätsstiftend. Der ständige Wettkampf, wer welche Klamotten anhat, würde aufhören. Und es wäre allemal hübscher als kleine Mädchen mit Kopftüchern schon in der Grundschule. Eine Schulleiterin hat mir so nebenbei erzählt, dass ihr Versuch, das Tragen von Kopftüchern in ihrer Grundschule zu unterbinden, mit einer unverblümten Morddrohung quittiert wurde.
    Kindertagesstätten und Schulen sind die beiden Instanzen der Gesellschaft und des Staates, die besonders dicht an den Menschen sind. Wir nutzen sie aber nicht ihrer Bedeutung entsprechend. Ich halte das für einen Fehler, einen sehr schweren Fehler. Natürlich kosten alle von mir angesprochenen Veränderungen Geld. Aber die öffentliche Infrastruktur kostet immer Geld. Wir haben mit dem Albert-Schweitzer-Gymnasium und der Rütli-Schule den Beweis erbracht, dass wir auch junge Leute ins Boot holen können, denen es nicht in die Wiege gelegt ist. Die Gymnasiasten im Albert-Einstein-Gymnasium, Bio-Deutsche wie Einwandererkinder, sie finden ihren Weg sicher alleine. Falls nicht, helfen Papa und Mama. Dort sind schon tolle Mädels und Jungs. Und es macht richtig Spaß, sie zu beobachten und ihre Leistungen zu bewundern. Um sie muss niemandem bange sein. Aber wenn wir die Rohdiamanten bei Rütli oder in der Albert-Schweitzer-Schule begeistert und zu funkelnden Brillanten geschliffen haben, dann entfalten sie das gleiche Feuer. Es geht. Was wir brauchen, ist ein echter Veränderungswille und eine Aufbruchstimmung.
    Zum Schuljahreswechsel 2012/2013 konnte zum Beispiel die Rütli-Schule 30   % Neuanmeldungen von bio-deutschen Eltern verzeichnen. Noch vor kurzem hätte man jemanden, der einen solchen Wert für möglich gehalten hätte, ausgelacht. An anderen Schulen ist das noch immer so. Auf Nachfrage erklärten mir andere, ebenfalls in Nord-Neukölln beheimatete Grundschulen, dass im Extremfall nicht eines der Kinder aus deutschen Familien, die im Einzugsgebiet der Schule wohnen, bei ihnen angekommen ist. Es ist offenkundig, dass Veränderungen, Engagement und ein neues Profil in der Bewohnerschaft sehr wohl zur Kenntnis genommen werden und eine positive Resonanz erfahren. Hieraus kann und muss man die Lehre ziehen, dass die Stadtviertel der Segregation, die wir soziale Brennpunkte nennen, nicht alleingelassen werden dürfen. Wer dies tut, versündigt sich an den Menschen, die dort leben. Er betrügt die nächste Generation um ihre Lebenschancen, er erhöht die Soziallasten, füllt die Gefängnisse und spaltet die Gesellschaft. Man kann individuell diesen Vierteln durch Fortzug entfliehen, den gesellschaftlichen Folgen entgeht man dadurch allerdings nicht.
    Ich kann und will Ihnen hierzu allerdings nicht die Information ersparen, dass 80   % der Teilnehmer an der schon mehrfach zitierten Online-Studie den Reformwillen der Bildungspolitiker als gering oder sehr gering einschätzen. Ein Vertrauensbonus sieht anders aus. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass 92   % der Teilnehmer an derselben Studie für einheitliche Lehrpläne in allen Bundesländern sind. Wie erwähnt, gilt diese Studie als nicht repräsentativ. Doch auch einer Forsa-Umfrage zufolge wünschen sich 91   % aller Eltern, dass die Verantwortung für die Schulen

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